Was wäre der Landkreis ohne Ludwigsburg?

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Bietigheimer Zeitung 21.10.2017

Ludwigsburg könnte theoretisch bald als Großstadt den Landkreis verlassen. Für Spekulationen ist es aber zu früh.

In den 1990er-Jahren konnte es mit der Globalisierung nicht schnell genug gehen. Jetzt steckt Europa in der Gegenentwicklung. Politik und Heimat werden wieder kleinräumig. Die Katalanen wollen sich von Spanien lossagen, die Schotten überlegen noch, und Großbritannien hat die Scheidung von der EU eingereicht. Aber ebenso auf der lokalen Ebene werden politische Trennungen und Unabhängigkeit angestrebt.

Beobachtet man im Landkreis Ludwigsburg die Querelen zwischen dem Oberbürgermeister der Barockstadt und dem Landrat insbesondere um das Für und Wider einer Stadtbahn, könnte auch hier durchaus der Eindruck entstehen, OB Werner Spec (parteilos) wolle möglichst zügig sein eigener Kreisherr werden. Im Rathaus sieht man sich gerne auf Augenhöhe mit der Landeshauptstadt oder dem Verband Region Stuttgart (VRS). Das Landratsamt empfindet man eher als Kontrollbehörde.

Ludwigsburg hat aktuell 93 000 Einwohner

Voraussetzung für die Kreisfreiheit ist eine Einwohnerzahl von 100 000. Mit aktuell etwa 93 000 ist Ludwigsburg gar nicht mehr weit davon entfernt. In den vergangenen 25 Jahren hat die Stadt über 10 000 Einwohner hinzugewonnen. In den nächsten sechs Jahren will sie zusätzlichen Wohnraum für rund 3700 Menschen schaffen. Oberbürgermeister Spec hat die Parole „500 neue Wohnungen jährlich“ ausgegeben. In diesem Jahr sind einige Beschlüsse in dieser Richtung gefasst worden.

Insgesamt sieht die Verwaltungsspitze über die konkreten Planungen hinaus ein doppelt so hohes Potenzial möglicher Wohneinheiten im Stadtgebiet. Würde es ausgeschöpft, wäre die 100 000er-Marke zu knacken, sagt der Oberbürgermeister. Weil er von den Gerüchten über seine vermeintlichen Ambitionen weiß, fügt Spec hinzu, Großstadt und kreisfreie Stadt zu werden „gehört nicht zu unseren Zielen. Das Thema kommt immer von außen. Wir haben es noch nie auf die Tagesordnung gebracht“. Spec argumentiert, dass Ludwigsburg ein Bevölkerungswachstum und vor allem den Zuzug junger Familien benötige, um der drohenden Überalterung etwas entgegenzusetzen.

Ludwigsburg hat enge Verbindungen zum Kreis

Dass die Stadt Ludwigsburg nicht mehr zum Landkreis Ludwigsburg gehören könnte, ist für die Kreisverwaltung „nicht vorstellbar“, teilt ein Sprecher des Landratsamts mit. „Ludwigsburg ist zugleich Namensgeber des Landkreises und Kreisstadt.“

Landrat Rainer Haas lässt ihn ausrichten: „Es gibt so enge Verbindungen zwischen den Städten und Gemeinden im Landkreis und vor allem auch zwischen den Städten und Gemeinden und der Stadt Ludwigsburg, dass wir Konsequenzen einer Kreisfreiheit nicht betrachtet haben.“ Deshalb möchte man im Landratsamt erst gar keine Überlegungen anstellen, welche Löcher im Kreishaushalt entstünden, fehlten die 42 Millionen Euro, die die Stadt in diesem Jahr in die Kreisumlage zahlt.

Vergleich mit Großstadt Heilbronn lohnt

Heilbronn ist nach der Kreisreform 1973 kreisfreie Stadt geblieben und gleichzeitig Sitz der von ihr unabhängigen Kreisverwaltung geworden. An den Verwaltungsaufgaben von Heilbronn lässt sich einschätzen, was auf Ludwigsburg bei einer Loslösung zukäme. Heilbronn hat beispielsweise eigene Entsorgungsbetriebe und Kliniken, ein Gesundheitsamt, eine Kfz-Zulassungsstelle und ein Jobcenter.

In Ludwigsburg ist dafür der Landkreis zuständig. Mit der Kreisfreiheit müsste sich Ludwigsburg eigene Strukturen aufbauen oder weiter mit dem Landkreis kooperieren. Zusätzliche Bürokratie könnte entstehen.

Unabhängigkeit könnte teuer werden

So betrachtet, müsste sich Ludwigsburg die Unabhängigkeit teuer erkaufen. Während der Landkreis Ludwigsburg mit seiner halben Million Einwohnern den Verlust von Ludwigsburg zur Not verkraften könnte, ist die Situation im Landkreis Reutlingen eine andere: Die Stadt Reutlingen möchte sich seit zwei Jahren vom Landkreis lossagen und kämpft darum mit dem Innenminister, der sich widerwillig zeigt. Ohne die Kreisstadt mit seinen 112 000 Bewohnern würde der Landkreis auf eine Größe von 164 000 Einwohnern und damit zu einem der kleinen Landkreise in Baden-Württemberg schrumpfen.

Siehe auch:

Ludwigsburg: Auf dem Weg zur Großstadt