Vorsicht vor Geschäftemachern! Und: Nicht jedes Hausnotrufsystem ist intelligent und effizient
ZVW 31.08.2016
Von unserem Mitarbeiter Uwe Roth
Waiblingen. Ein Hausnotruf gibt Senioren ein Gefühl von Sicherheit. Anbieter solcher Alarmsysteme machen damit gute Geschäfte. Doch die Konkurrenz ist groß. Marktführer im Kreis ist mit Abstand das DRK. Bereits 2000 Kunden nutzen seinen kostenpflichtigen Service.
Die Selbstständigkeit in der eigenen Wohnung bis ins hohe Alter zu wahren, liegt im Trend. Ein Hausnotruf gehört da zur Barrierefreiheit wie die bodengleiche Dusche oder der Treppenlift. Alte Menschen können stürzen, erleiden einen Kreislaufkollaps oder versuchen vergeblich, aus dem Bett zu kommen. Leben sie allein, und das Telefon ist außer Reichweite, kann schon ein kleiner Unfall lebensbedrohlich werden. In einer misslichen Lage kann selbst das Handy in der Tasche überfordern.
Ein Hausnotruf lässt sich dagegen auf die einfachste Weise bedienen: Man drückt eine große Taste und wartet ab. Den Alarmknopf hat man im Gegensatz zum Telefon ständig bei sich, trägt ihn entweder am Arm wie eine Uhr oder um den Hals wie eine Kette. Die Verbindung zur Außenwelt wird über eine elektronische Box hergestellt, die in der Wohnung mit dem Telefonanschluss verbunden ist. Wird ein Alarm ausgelöst, landet das Signal in einer Notrufzentrale. Von dort aus wird Hilfe organisiert.
Die Technik hat immer mehr Möglichkeiten geschaffen
Das ist die Kurzbeschreibung der Funktionsweise eines solchen Systems. Tatsächlich aber ist es viel komplizierter. Analoges und digitales Festnetz, WLAN und Mobilfunk, GPS und Apps – die Technik hat in den vergangenen Jahren immer mehr Möglichkeiten geschaffen, in Verbindung zu bleiben. Nicht nur den meisten alten Menschen sagen solche technischen Begriffe rein gar nichts. Sie sind auf eine Beratung angewiesen. Wer am Computer in eine Suchmaschine, meistens ist es Google, „Hausnotruf“ eingibt, bekommt zuallererst eine stattliche Zahl bezahlter Anzeigen zu lesen. Einmal den Suchbegriff in die virtuelle Welt geschickt, wird man im Internet die Werbung tagelang nicht mehr los.
Die intensive kommerzielle Werbung legt die Vermutung nah, die Geschäfte mit dem Hausnotruf sind lukrativ, und der Markt ist umkämpft. Nicht allein der Wunsch, so lange wie möglich in der eigenen Wohnung zu bleiben, sondern auch der demografische Wandel, verbunden mit der steigenden Lebenserwartung, vergrößert die Zahl potenzieller Kunden Jahr um Jahr.
Wer sich mit dem Internet nicht wirklich gut auskennt, sollte dort keine Beratung suchen. Die Gefahr ist zu groß, dass man sich auf eine überteuerte Lösung einlässt oder sich Profiverkäufer an die Fersen heften. Besonders häufig taucht die Internetseite www.pflege.de auf. Dahinter verbirgt sich eine Hamburger Firma, die mit Johanniter und Malteser kooperiert. Um auf der Internetseite Informationen oder eine neutrale Beratung, so die Hoffnung, zu erhalten, muss man seine vollständigen Kontaktdaten eingeben, inklusive Telefonnummer – ansonsten geht gar nichts. Füllt man das Formular am Bildschirm aus, erfolgt keine Stunde später ein Anruf aus einem Callcenter. Wer will das schon?
Da liegt es nahe, einen Anbieter in der realen Welt vor Ort zu finden. Im Rems-Murr-Kreis kann man sich praktisch an jede Wohlfahrtseinrichtung wenden. Das Deutsche Rote Kreuz (DRK), der Arbeiter- Samariter-Bund (ASB) und die schon erwähnten Johanniter und Malteser sind direkte Anbieter. Andere Organisationen wie die Arbeiterwohlfahrt (Awo) oder Diakonie treten als Vermittler auf.
Joachim Härle, Sprecher der AOK Ludwigsburg-Rems-Murr, rät Senioren, in die Suche nach einem geeigneten Hausnotruf-Vertrag einen Verwandten miteinzubeziehen. Die Krankenkasse hat allein deswegen ein Interesse an einem vernünftigen Abschluss, da sie als Pflegekasse einen Teil der Kosten trägt (siehe „Tipps der AOK“) und vermeiden möchte, dass die Mitglieder mit ihrem Vertrag unzufrieden sind.
Im Internet wird ein Hausnotruf ab null Euro versprochen. Das gilt jedoch nur, wenn der Kunde bereits eine Pflegestufe erreicht hat und er sich mit dem Grundpaket zufriedengibt, indem die 24-Stunden-Bereitschaft, jedoch keine Schlüsselhinterlegung enthalten ist. In diesem Fall übernimmt die Pflegekasse Kosten in Höhe von 18,36 Euro monatlich. Weil dem so ist, kostet bei den meisten Anbietern das Grundpaket exakt 18,36 Euro.
Aber wie bei einem Mobilfunkvertrag gibt es die Möglichkeit, gegen Aufpreis Zusatzpakete zu bestellen. Außerdem schwankt die Anschlussgebühr zwischen zehn und 90 Euro. Wird ein Rettungswagen losgeschickt, und es stellt sich heraus, dass kein medizinischer Notfall bestand, sind für jeden Einsatz 80 bis 90 Euro extra zu bezahlen. Den Überblick zu wahren und Kostenvergleiche fallen schwer.
Die Malteser haben in der Region Stuttgart rund 3000 Hausnotruf-Kunden. Klaus Weber, Regionalgeschäftsführer in Baden-Württemberg, teilt auf Anfrage mit: „Generell entscheiden sich unsere Neukunden hier im Raum Stuttgart und bundesweit zu 80 Prozent für Komplettsicherheit und zu 20 Prozent für Grundsicherheit.“ Die komplette Hintergrundbetreuung sei vielen Menschen „sehr wichtig“. Dafür zahlen die Kunden monatlich rund 22 Euro aus dem eigenen Budget. Wesentlicher Unterschied zum Basispaket ist die Schlüsselhinterlegung. Im Ernstfall erspart das Zeit und Kosten, da ansonsten unter Umständen ein teurer Schlüsseldienst geholt werden muss.
Das Deutsche Rote Kreuz ist im Rems-Murr-Kreis Marktführer
Wie beim Malteser Hilfsdienst kostet auch beim DRK das Komfortpaket 40 Euro im Monat minus den Kostenanteil, den gegebenenfalls die Pflegekasse trägt. Das DRK ist im Rems-Murr-Kreis Marktführer. DRK-Mitarbeiter Mathias Kress demonstriert bei der 2000. Kundin, wie das System funktioniert. Die 77-Jährige, die in Alfdorf lebt, trägt den Sender wie eine Armbanduhr. Drückt sie, ruft die Anlage in ihrem Wohnzimmer das DRK an. Die Zentrale des DRK erkennt den Anrufer sofort. „Guten Tag Frau Ketselidis. Benötigen Sie Hilfe?“ Ein Mitarbeiter spricht mit der Anruferin und bewertet, welche Maßnahmen einzuleiten sind.
Im Notfall rückt der Rettungsdienst aus oder die DRK-Bereitschaft schaut vorbei. Das ist allerdings, und das ist gut so, meint Mathias Kress, selten der Fall. Denn in unkritischen Situationen werden Verwandte oder Bekannte in der Nachbarschaft alarmiert, um dem Anrufer schnell helfen zu können. Diese sind beim DRK hinterlegt. Nach Wunsch kann sich der Teilnehmer jeden Tag per Knopfdruck am Hausnotrufgerät melden und somit signalisieren, dass alles in Ordnung ist. Wenn sich ein Teilnehmer morgens nicht meldet, wird das DRK automatisch alarmiert. In mehr als neun von zehn Fällen ist jedoch nichts vorgefallen, so Mathias Kress. Der größte Dienst des Hausnotrufs ist am Ende, dass er das Gefühl von Sicherheit vermittelt.