Sven Giegold, Europaabgeordneter Grüne. Foto: Giegold

TTIP und CETA: Vor allem Konzerne profitieren

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ZVW Uwe Roth 15.09.2016

Sven  Giegold in der Schorndorfer Manufaktur über Ceta und TTIP

TTIP und Ceta – der 46-Jährige aus Nordrhein-Westfalen muss seinem Publikum im voll besetzen Saal der Schorndorfer Manufaktur nicht groß erklären, was sich hinter den Akronymen verbirgt (siehe Info). Die Zuhörer sind (vielleicht mit wenigen Ausnahmen) schon als erklärte Gegner dieser Abkommen in die Veranstaltung gekommen. Unter ihnen sind Mitglieder von Attac, des DGB und der Naturfreunde, die gemeinsam mit dem Forum Politik in die Manufaktur eingeladen haben. Der Grünen-Politiker Sven  Giegold war selbst Gründungsmitglied von Attac.

Auch Mitglieder der Grünen sind da. Für die ist der inzwischen prominente Vertreter ihrer Partei zum großen Globalisierungsvordenker geworden. Unter den Zuhörern sind dagegen sehr wenig junge Leute, obwohl Zukunft das Kernthema des Referenten ist. Die meisten im Saal sind 50-plus und werden die Auswirkungen der Verträge allenfalls als Rentner erleben – sollten die Handelsabkommen mit Kanada und den USA überhaupt jemals in Kraft treten.

Bundesrat soll über TTIP und CETA abstimmen

Die Hoffnung der TTIP- und Ceta-Gegner sind die Parlamente in den Mitgliedsstaaten der EU. Wenn nur eines sein Veto einlegt, war’s das, und der Freihandel muss sich andere Wege suchen. Sven  Giegold sieht im Ratifizierungsprozess bei den Grünen in Baden-Württemberg eine besondere Verantwortung. Seine Hoffnung ist, dass nicht nur der Bundestag, sondern auch der Bundesrat dem Freihandelsabkommen zustimmen muss. Und dort haben die Grünen eine Stimme, die stark genug werden könnte, um gemeinsam mit den Linken den Vertrag scheitern zu lassen. Der Europaabgeordnete empfiehlt den Grünen, sich beim nächsten Landesparteitag auf ein Nein festzulegen. „In NRW haben wir das getan.“ Damit könne der Koalitionspartner CDU in der Landesregierung wenn nicht zu einem Ja, dann aber doch zu einer Enthaltung gezwungen werden.

Der studierte Wirtschaftswissenschaftler ist ein guter Rhetoriker. Auch nach einem langen Tag im Europäischen Parlament in Straßburg und einer knapp zweistündigen Fahrt nach Schorndorf spricht er frei und hoch konzentriert. Er erklärt, es seien nicht die Chlorhähnchen, die ihn ängstigten. Auch die Harmonisierung technischer Standards sieht er nicht als Problem, sondern eher als einen Vorteil. „Gemeinsame Regeln für einen Rückspiegel festzulegen, das stört keinen Menschen“, sagt er.

Ärmere Staaten von Verhandlungen ausgeschlossen

Ihn stört sehr viel mehr, dass die geplanten Freihandelsabkommen nach seiner Überzeugung rein auf die Bedürfnisse großer Wirtschaftsunternehmen zugeschnitten sind. Belange der Arbeitnehmer, des Verbraucherschutzes, des Umwelt- und Klimaschutzes, aber auch die Belange der kommunalen Daseinsvorsorge seien unberücksichtigt geblieben. Handelsvereinbarungen könnten ebenso über die Welthandelsorganisation (WTO) zustande kommen. Dann aber wären nicht nur Europäer, die USA und Kanada, sondern auch Vertreter ärmerer Staaten am Verhandlungstisch gesessen. Aber das hätten die Konzerne zu verhindern gewusst.

So werde bilateral, also an der WTO vorbei und ohne die Wirtschaftsschwachen auf der Welt, verhandelt. Schließlich würden Dritte-Welt-Staaten weiterhin als Absatzmärkte überschüssiger Massenprodukte gebraucht – besonders auf dem Agrarsektor. Dafür sei mit einem früheren Prinzip der Entwicklungshilfe gebrochen worden: Die reichen Staaten haben ihre Märkte für Importwaren aus Entwicklungsländern geöffnet. Gleichzeitig konnten sich die armen Staaten vor Importen schützen, die ihre lokalen Märkte bedrängt hätten. Nun gelte das gleiche Prinzip für alle: Wer exportieren will, muss auch uneingeschränkt Importe zulassen.

Gutes Leben nicht von Wachstum abhängig

Zu den Kerninteressen der Wirtschaft gehört nach Beobachtung des Referenten, sich in Handelsfragen aus dem staatlichen Rechtssystem auszuklinken und Gerichtsverfahren in sogenannten Schiedsgerichten zu privatisieren. Die Konzerne wollten abseits der Zivilgesellschaft ihre eigenen Rechtsregeln schaffen, die dann aber in die Zivilgesellschaft hineinwirkten und den Alltag der Bürger beträfen. Konzerne wollten sich das Recht erstreiten, über privatwirtschaftlich organisierte Schiedsgerichte Staaten auf Schadenersatzansprüche verklagen zu dürfen. Am Ende müsse der Steuerzahler für die Prozesskosten aufkommen.

Die Wachstumserwartungen an die Freihandelsabkommen sind nach den Worten von  Giegold derart gering, dass es sich keinesfalls lohne, dafür ein großes Stück Freiheit einer Zivilgesellschaft aufzugeben. „Gutes Leben ist nicht zwangsläufig abhängig von Wachstum“, lautet sein Schlusswort.