Tempo 30 nervt Autofahrer

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ZVW, Uwe Roth, 06.08.2015

Waiblingen. Seit 30 Jahren ist Tempo 30 eine Option für mehr Sicherheit und weniger Straßenlärm. Autofahrer tun sich nach wie vor schwer, dieses Limit zu respektieren. Displays mit einem lachenden oder traurigen Gesicht – je nach dem – sollen mehr Disziplin bringen.

Autofahrer fühlen sich von einem 30er-Schild besonders in Ortsdurchfahrten gegängelt. Sie sind 50 gewohnt, meistens fährt man sogar einen Tick schneller – irgendwas zwischen 50 und 60 km/h. Im dritten Gang lässt sich diese Geschwindigkeit gut halten. Das hat der routinierte Autofahrer im Blut. Wird man aber bei diesem Tempo auf einer 30er-Straße erwischt, werden 80 bis 100 Euro fällig. Dazu kommt ein Strafpunkt im Verkehrsregister. Wer merklich über 60 km/h unterwegs ist, der hat für einen Monat seinen Führerschein weg. Folglich erfordert Tempo 30 volle Konzentration. Nutznießer sind allerdings Fußgänger und Anwohner, für die ein ruhigerer Verkehr weniger Stress bedeutet.

Die Möglichkeit, den Verkehr auf einzelnen Straßen auf 30 zu drosseln, besteht erst seit wenigen Jahren. Davor durften lediglich ganze Wohngebiete zu Tempo-30-Zonen erklärt werden. EU-Vorschriften zur Luftreinhaltung und zum Lärmschutz haben die rechtlichen Hürden gesenkt, Höchstgeschwindigkeiten unterhalb von 50 Stundenkilometern festzulegen. Allerdings benötigt eine Kommune dafür eine Genehmigung durch das Regierungspräsidium.

Das Verkehrsministerium hat kürzlich seine Karte mit den innerörtlichen Tempo-30-Landstraßen im Land aktualisiert. Im Rems-Murr-Kreis haben demnach elf Straßen diesen Status. Dazu gehören Waiblingen-Hegnach, Kernen-Stetten, Weinstadt-Strümpfelbach, Winterbach, Rudersberg-Schlechtbach und die Teilorte Miedelsbach, Oberberken und Schlichten der Stadt Schorndorf.

Es wird vergleichsweise selten kontrolliert

Den Kommunen fällt es schwer, zu belegen, wie es um die Akzeptanz von Tempo-30-Straßen steht. Die Statistiken sind lückenhaft. Das haben Anfragen unserer Zeitung ergeben. In 17 der 31 Kreiskommunen ist für Messungen das Landratsamt zuständig. Und das führt keine entsprechende Statistik, wie eine Sprecherin Auskunft gibt. Fest steht: Es wird selten kontrolliert – ob aus Mangel an Ordnungskräften oder Messgeräten, wird nicht mitgeteilt. Vielleicht steckt dahinter ein politischer Wille. Denn Belege für häufige Geschwindigkeitsüberschreitungen könnten zu kontroversen Diskussionen im Gemeinderat darüber führen, ob man die Straße nicht für viel Geld Tempo-30-gerecht verändern müsste.

Die Stadt Waiblingen hat das für Hegnach beschlossen. An der vielbefahrenen Durchgangsstraße wird im Schnitt einmal im Monat kontrolliert. In den vergangenen eineinhalb Jahren sind nach Angaben der Stadt bis heute 5363 Fahrzeuge beanstandet worden. Das sind rund 300 pro Messung. Dies lässt den Schluss zu, dass dort in der Regel zu schnell gefahren wird.

Das Ordnungsamt der Stadt Schorndorf will über die Messergebnisse nicht klagen, behauptet, alles sei soweit im grünen Bereich. Ähnlich ist die Auskunft aus Kernen. Die Gemeinde resümiert, 89 Prozent der Autofahrer hielten sich an die Geschwindigkeitsvorschriften, die Verstöße im Vergleich mit den Vorjahren seien sogar leicht gesunken. Im benachbarten Weinstadt stellt man dagegen fest: In 30er-Bereichen nehmen Geschwindigkeitsüberschreitungen zu. Dabei ahndet das Ordnungsamt großzügig erst ab einer Geschwindigkeit von 39 km/h. In der Schlossstraße ist dennoch fast jeder vierte Autofahrer zu schnell.

Die Zahlen der Stadt Winnenden sprechen eine deutliche Sprache: Lag der Anteil der Überschreitungen auf Tempo-30-Straßen im Jahr 2008 bei 7,6 Prozent, sind es heute über elf Prozent. Der Vergleich zeigt aber auch, die Zahl der echten Raser, also 15 km/h und mehr über Tempo 30, ist rückläufig. 80 Prozent der Fahrer, die erwischt werden, sind weniger als zehn Kilometer zu schnell und kommen mit einem Bußgeld von zehn Euro davon. Im Jahr 2008 lag der Anteil der Fahrer mit einer Geschwindigkeit zwischen 45 und 60 Stundenkilometer noch bei knapp 60 Prozent.

Kosten Laserblitzer eine Menge Geld, sind Geschwindigkeitsdisplays mittlerweile eine kostengünstige Alternative. Die Preise liegen zwischen 2000 und 3000 Euro das Stück, wahlweise können die elektronischen Anzeigen gemietet werden. Und sie können weit mehr, als nur das gemessene Tempo mit einem erfreuten oder traurigen Gesicht kommentieren. Die auf dem Display angezeigten Geschwindigkeiten werden präzise wie bei amtlichen Messungen erfasst, gespeichert und nach unterschiedlichen Merkmalen ausgewertet. Wird die Zahl der Überschreitungen auffällig, wird der Messdienst zeitnah dorthin geschickt.

Die Stadt Welzheim macht das so. Auf ihrer Gemarkung misst der Landkreis. Die Verwaltung hat sich im Frühjahr dieses Jahres ein solches Display angeschafft. Jüngste Zahlen machen deutlich, dass es mit der Disziplin der Autofahrer nicht allzuweit her ist. In der Silcherstraße (Tempo 30) beispielsweise war im Zeitraum von einer Woche mehr als die Hälfte der erfassten Fahrzeuge zwischen 31 und 50 Stundenkilometer schnell.

Umgekehrt: Nur eine Minderheit hielt sich an Tempo 30. Fehlt folglich Tempo 30 der nötige Respekt der Verkehrsteilnehmer? Aus dem Rathaus in Welzheim heißt es dazu: Ein überhöhtes Tempo resultiere nicht aus mangelndem Respekt, „sondern aus einem fehlenden Zusammenspiel zwischen Geschwindigkeitsregelung und Straßengestaltung.“ Besonders aber sei die Angst vor einem Bußgeld respekteinflößend. In Schorndorf geht man davon aus, dass Respekt der Autofahrer in Gefahrenzonen, wie vor Kindergärten und Schulen, vorhanden ist, ein allgemeines Tempo 30 hingegen den Respekt insgesamt aufweiche. In Winnenden will man sich auf eine Bewertung erst gar nicht festlegen: „Eine Antwort wäre reine Mutmaßung, daher kann die Frage nicht beantwortet werden.“

Warum Tempo 30?

Baden-Württemberg unterstützt Initiativen auf Bundesebene, die eine Absenkung der innerörtlichen Regelgeschwindigkeiten vorsehen.

Auf den Straßen mit Wohnbebauung soll Tempo 30 mit Ausnahmen (zum Beispiel wegen des Verkehrsflusses oder der Luftreinhaltung) zur Regel werden.

Etwa 70 bis 80 Prozent der verletzten und getöteten Fußgänger auf Straßen des überörtlichen Verkehrs verunglücken weder an einem Fußgängerüberweg noch an einer Fußgängerfurt.

Auf diesen Tempo-50-Straßen gilt: Bei 50 km/h ist die Energie, die im Falle eines Unfalles wirkt, annähernd dreimal so hoch wie bei 30 km/h.

Von zehn angefahrenen Fußgängern überleben nach Angaben der Beratungsstelle für Unfallverhütung drei bei Tempo 50 und neun bei Tempo 30.

Mit der Möglichkeit der Einrichtung von Tempo 30-Zonen konnten in den vergangenen 25 Jahren weite Teile des Straßennetzes in den Kommunen verkehrsberuhigt werden.