SWP Uwe Roth 31.10.2016
Eine starke Polizeipräsenz dämmt die Zahl der Taschendiebstahl-Delikte ein. Das trifft zumindest für Stuttgart zu. Im Umland werden mehr Fälle verzeichnet.
Gegen Leichtsinn ist die Polizei machtlos: In einem Stuttgarter Bekleidungsgeschäft wird einer 49-Jährigen aus der offenen Handtasche der Geldbeutel geklaut. Der Inhalt laut Polizeibericht: mehrere Tausend Euro Bargeld und persönliche Papiere. Die Geschädigte hatte ihre Tasche locker über der Schulter hängen. Die Frau will gesehen haben, wie die Diebin davonlief. Etwa 16 Jahre alt soll diese sein. Sie ist weiterhin flüchtig.
Im vergangenen Jahr registrierte die Polizeidirektion Stuttgart knapp 2400 Taschendiebstähle. Im laufenden Jahr werden es ähnlich viele sein, schätzt Polizeisprecher Stephan Widmann. Die Aufklärungsquote gibt die Statistik mit etwa acht Prozent an. Das wären etwa 200 erfolgreich abgeschlossene und 2200 offene Fälle.
Sprunghafter Anstieg
Für die Polizei bedeutet Stagnation in der Entwicklung der Taschendiebstähle bereits einen Erfolg. Denn die Zahl der Delikte ist bislang von Jahr zu Jahr sprunghaft angestiegen: 2014 waren in der Landeshauptstadt rund 2250 Taschendiebstähle erfasst worden, wiederum knapp 600 Fälle mehr als im Jahr davor. Dies entsprach einer Zunahme um 36 Prozent und dem absoluten Höchststand im Zehnjahresvergleich.
Unter den Großstädten in Baden-Württemberg liegt Stuttgart damit im Mittelfeld. Am häufigsten geklaut wurde 2015 in Heidelberg. Nach der Definition wird in dieser Statistik nur Diebesgut erfasst, das der Geschädigte direkt am Körper trägt. Wird ihm die Tasche geklaut, die er neben sich abgestellt hat, fällt dieses Vergehen in eine andere Kategorie.
In Stuttgart haben die Polizeidirektion und Bundespolizei, die für Kontrollen im und am Bahnhof zuständig ist, reagiert: Es sind mehr Streifen unterwegs – in Uniform, aber genauso in zivil. Darüber hinaus setzt die Polizei auf Aufklärung. Regelmäßig gibt es in den Fußgängerzonen Informationsstände. Der Polizeisprecher schlussfolgert aus diesen Aktionen, dass die Bürger sensibler geworden seien und etwas sorgfältiger auf ihre Wertgegenstände in den Taschen achteten.
Die Bundespolizeidirektion Stuttgart meldet für ihren Bereich gleiche Erfolge: „2016 bewegen wir uns nach wie vor auf einem quantitativ hohen Niveau, verzeichnen aber dennoch einen leichten Rückgang“, teilt Sprecher Jonas Große auf Anfrage mit. Auch er führt das auf eine „gesteigerte Polizeipräsens“ zurück. „Einschlägiges Klientel“ werde gezielt kontrolliert. Täter, die auf frischer Tat ertappt werden und keinen festen Wohnsitz vorweisen könnten, wanderten zur Abschreckung ohne größere Umwege in Untersuchungshaft. Mehrfachtäter stünden unter stärkerer Beobachtung. Dazu sei der Datenaustausch zwischen Bundes- und Landespolizei intensiviert worden.
Ungewöhnliche Prävention
In der Prävention schlägt die Bundespolizei ungewöhnliche Wege ein. So schieben Zivilbeamte auf ihren Touren beispielsweise eine gelbe Hand aus Pappe in offenstehende Taschen und Gepäckstücke, „um Reisende im Anschluss auf das unvorsichtige Handeln hinzuweisen“, wie es der Polizeisprecher formuliert. Eine andere Methode ist, Fotos von Schlafenden auf Bänken zu machen, die oftmals betrunken und Taschendieben wehrlos ausgeliefert sind, „um über unseren 24-Stunden-Twitterdienst die Leute vor solchen Situationen zu warnen“, berichtet Große. In einem Fall lief den Beamten bei einer solchen Aktion unversehens der Täter in die Arme. Die Beute war mager, eine Schachtel Zigaretten. Dennoch sei ein Haftbefehl erlassen worden. Die Aufklärungsquote im ersten Halbjahr gibt der Sprecher mit rund elf Prozent an. Im Vergleichszeitraum 2015 habe sei bei rund fünf Prozent gelegen.
Im Umland von Stuttgart haben die Polizeipräsidien weniger gute Nachrichten. Das Präsidium in Reutlingen ist zusätzlich für die Landkreise Tübingen sowie Esslingen und somit für den Flughafen zuständig. Die Zahl der Taschendiebstähle steigt weiter an, teilt Sprecher Josef Hönes mit – wenn auch nur leicht. Die Aufklärungsquote lag seinen Angaben nach im vergangenen Jahr bei knapp sechs Prozent. 2014 war eine Quote von rund neun Prozent erreicht worden.
Höchstwert im Jahr 2015
Ähnlich ist die Entwicklung im Zuständigkeitsbereich des Polizeipräsidiums Ludwigsburg, der auch den Landkreis Böblingen umfasst. „Der seit Jahren kontinuierlich festzustellende Anstieg bei Taschendiebstahl hat 2015 den Höchstwert im Vergleichszeitraum erreicht“, so Pressesprecher Peter Widenhorn. „Die in diesem Deliktsfeld niedrige Aufklärungsquote hat sich zuletzt von fünf Prozent im Jahr 2014 auf 4,7 Prozent im Jahr 2015 nochmals weiter leicht verschlechtert“, lautet seine ernüchternde Bilanz. Zunehmend zu schaffen machen der Polizei „überregional agierende Gruppierungen aus dem nordafrikanischen Raum, die durch professionelles Ablenken ihrer Opfer Taschendiebstähle begehen“.
Gefahrenorte Taschendiebe sind vor allem dort unterwegs, wo große Menschenmassen aufeinandertreffen – wie in belebten Innenstädten, Bahnen, Bahnhöfen und Zügen. Besonders wachsam sollte man in Situationen sein, in denen es eng und gedrängt zugeht, wie beim Einsteigen in einen Zug oder auf einer Rolltreppe.
Vorsorge Die Polizei empfiehlt, Handtaschen stets zu verschließen und mit der Öffnung zur Körperseite zu tragen. Wertgegenstände wie Smartphones, Geldbörsen und Dokumente sollten immer möglichst nah am Körper positioniert werden. uro