Gewalt gegen Rettungskräfte und Feuerwehr begegnen

DEMO, Uwe Roth, 19.12.2018

Mehr Respekt gegenüber Helferinnen und Helfern gefordert. Deeskalationsstrategien können als Schutz hilfreich sein.

Die Gewalt gegen Rettungskräfte scheint zuzunehmen. Über spektakuläre Fälle wird breit in den Medien berichtet. Betrunkene pöbeln Sanitäter massiv an. Unfallgaffer setzen sich aggressiv und mit Beschimpfungen zu Wehr, wenn sie von Einsatzkräften zur Seite gedrängt werden, damit diese Hilfe leisten können. Was, so fragen sich Leserinnen und Leser solcher Nachrichten, ist in diese Menschen gefahren? Wie können sie Helfer attackieren, die letztlich Menschenleben retten wollen? Solche Nachrichten scheinen in das Stimmungsbild einer wachsenden Respektlosigkeit in der Öffentlichkeit gegenüber hoheitlichen Einrichtungen zu passen.

Kampagne in Bayern

In München schleuderte im Sommer ein 20-Jähriger eine Whiskyflasche gegen die Scheibe eines Notarzteinsatzfahrzeugs der Berufsfeuerwehr. Diese durchschlug die Scheibe und traf eine Notärztin im Gesicht. Sie erlitt dabei schwere Verletzungen. Ein Rettungssanitäter wurde durch umherfliegende Glassplitter am Auge verletzt. Die Berufsfeuerwehr der bayerischen Landeshauptstadt sieht darin einen ungewöhnlichen Fall, aber noch lange keinen Beweis eines zunehmenden Autoritätsverlusts der Rettungskräfte. Ein Sprecher gibt Auskunft: „Dieser Vorfall ist bislang der spektakulärste gewesen.“ Erst danach habe man überhaupt begonnen, eine Statistik zu führen. Weil dem so sei, „liegt es uns fern, Einschätzungen über Verhaltensmuster und Denkweisen der übergriffigen Personen zu ­äußern“, wehrt Brandoberinspektor Florian ­Hörhammer Fragen nach möglichen Ursachen ab. Da es sich in der Vergangenheit nach seiner Einschätzung um wenige Einzelfälle gehandelt habe, sieht die Münchner Wehr „derzeit keinen Grund, Mitarbeiter in Selbstverteidigungskurse zu schicken“, wie dies von manchen ­Rettungsorganisationen getan werde.

Die Landesgruppe Bayern der Deutschen Feuerwehr-Gewerkschaft hat indessen das Thema „Gewalt gegen ­Rettungskräfte“ in der Kampagne ­„Respekt? Ja bitte!“ aufgegriffen. In ­einem Video kommen auch betroffene Helferinnen und Helfer zu Wort. Beim Arbeiter-Samariter-Bund Baden-Württemberg setzt man auf Deeskalationsstrategien, wie die ASB-Landesvorsitzende Sabine Wölfle sagt. Die stellvertretende Vorsitzende der SPD-Landtagsfraktion stellt fest: „Dies ist nach unserer Auffassung ein deutlich effektiverer Ansatz, als sie in Selbstverteidigung zu schulen.“ Die allermeisten Situationen ließen sich bei entsprechendem Vorgehen der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter entschärfen.

Arbeiter Samariter Bund: Relativ wenig Vorfälle

Gleichwohl spricht man auch beim ASB nicht von ­einer Zunahme von Konflikten. Denn: „Insgesamt verzeichnen wir relativ wenige Vorfälle.“ Nach der ASB-Landesstatistik ist die Zahl der verbalen Übergriffe von 60 im Jahr 2016 auf 30 im vergangenen Jahr gesunken. Die Zahl der einfachen und schweren Körperverletzungen ist allerdings im gleichen Zeitraum, wenn auch auf niedrigem Niveau, von drei auf neun Fälle angestiegen. 2017 verzeichnete der ASB rund 85.000 Einsätze mit Rettungswagen und Notarztfahrzeugen sowie 93.000 Krankentransporte. Doch Wölfle bekräftigt angesichts dieser Zahlen: „Angriffe auf Rettungskräfte sind absolut inakzeptabel und müssen mit aller Härte bestraft werden.“

Die gleichen Beobachtungen macht Sprecher Udo Bangerter vom Deutschen-Roten-Kreuz-Landesverband in Stuttgart. Er sieht zwar ebenso eine Tendenz hin zu einer wachsenden Ungeduld, Unhöflichkeit sowie Respektlosigkeit, die den Rettungssanitätern bei ihren Einsätzen begegne. Dazu kämen Menschen unter Drogen- und Alkoholeinfluss mit zum Teil aggressivem Verhalten. Dennoch könne er „keinen nennenswerten Zuwachs an körperlicher Gewalt gegenüber Rettungssanitätern erkennen“, wie Bangerter feststellt. In den vergangenen 20 Jahren habe sich die Zahl der Rettungseinsätze verdoppelt. Entsprechnend nähmen die Gewalt- und Beleidigungsvorfälle zu. Doch unterm Strich bewertet er „solche Delikte als insgesamt sehr selten“.

Studie: Hohe Dunkelziffer

Die Kriminalwissenschaftlerin Janina Dressler, die in einer Studie Ende 2014 rund 1.600 Rettungskräfte der Berufsfeuerwehren und zivilen Hilfsorganisationen befragt hat, zeigt allerdings auf, dass die Dunkelziffer sehr hoch ist. Ihrer Aussage nach standen zum Beispiel 2014 in Hamburg 30 bis 40 gemeldeten Delikten 1.600 nicht gemeldete gegenüber. In der Polizeilichen Kriminalstatistik (PKS) waren laut Dressler bundesweit 1.852 Straftaten gemeldet. Wie die Dimension der Vorfälle auch sein mag: Jeder einzelne Angriff auf Rettungskräfte ist einer zu viel.

Wie Rettungskräfte sich behaupten können

DEMO, Uwe Roth, 18.12.2018

In speziellen Kursen lernen Rettungskräfte oder Mitarbeiter öffentlicher Verwaltungen Selbstbehauptungs- und Deeskalationsstrategien.

Selbstbehauptung geht vor Selbstverteidigung. So beschreibt Marc Louia den Aufbau seiner Kurse, die er im schwäbischen Pfullingen (Landkreis Reutlingen) unter anderem Rettungskräften und Mitarbeitern öffentlicher Verwaltungen anbietet. Der 51-Jährige ist Mitglied im Verein „Selbstbewusst & Stark“ des Bundesverbands Gewaltprävention. Seit sich Meldungen häufen, dass Rettungskräfte während ihrer Einsätze körperlich bedroht werden, wächst auch in seiner Schule die Zahl der Anmeldungen aus Rettungsorganisationen.

Gewalt nicht mit Gewalt begegnen

Louia macht deutlich, dass die Lösung nicht darin bestehen könne, in erster Linie die Selbstverteidigungskräfte zu trainieren, also Gewalt mit Gewalt zu begegnen. „Bei uns geht es vor allem um die Selbstbehauptung und Deeskalation, also um alles was passiert, bevor es im schlimmsten Fall zu einem Übergriff kommt“, sagt Louia.

Prävention beginnt bei ihm im Kopf: Wie bereite ich mich auf der Anfahrt vor? Wie trete ich am Einsatzort auf? Wie erkenne ich Gefahren im Vorfeld? Wie gehe ich mit Störern um? Wie sichern wir uns gegenseitig ab? „Uns kommt es vor allem darauf an, dass die Teilnehmer lernen, dass man durch bestimmte Verhaltensweisen gefährliche Situationen oft bereits im Ansatz verhindern kann.“ Grundsatz stimme, betont er nachdrücklich: Eine gute Selbstbehauptung erspart in den meisten Fällen die Selbstverteidigung.

Wichtige Übung: selbstbewusstes Auftreten

Eine wichtige Übung in seinem Kurs ist, ein selbstbewusstes Auftreten am Einsatzort zu trainieren. Er demonstriert, wie man blitzartig in eine Schutzhaltung in Bedrohungslagen kommt. Im Einsatz konzentriert zu arbeiten und gleichzeitig den Eigenschutz nicht zu vernachlässigen, sei ebenso eine Sache des Trainings. Zum Beispiel werde gezeigt, wie man eine Person bestmöglich zum Rettungsfahrzeug bringt oder wie Sanitäter auf bedrohliche Situationen im Fahrzeug während des Transportes reagieren können.

Von Selbstverteidigung spricht der Lehrer, wenn es darauf ankomme, eine gute Schutzhaltung bei Bedrohung einzunehmen und aus dieser sinnvoll zu handeln. Doch auch dabei sei Selbstbehauptung wichtig, weil es immer einen Plan im Kopf geben müsse. „In Konfliktsituationen entscheidet nämlich zu 80 Prozent der Kopf, wer als Sieger oder Verlierer vom Platz geht. Eine gute Technik macht lediglich 20 Prozent aus“, ist seine Erfahrung. Wer sich wirklich verteidigen wolle, der müsse in der Lage sein, seinem Gegenüber klar zu machen, dass er nicht das Opfer sei, für das ihn der Angreifer halte. „Körperliche Fitness ist immer ein Pluspunkt, aber in unserem Konzept nicht entscheidend.“

Mentale Vorbereitung

Eine mentale Vorbereitung, die hilft, Gefahrenlagen rechtzeitig zu erkennen, in Kombination mit einem selbstbewussten Auftreten, sei für die Prävention von großer Wichtigkeit. Körperhaltung, Blick, Stimme, Gestik oder Mimik verrieten dabei viel über die Absichten des Gegenübers. Das körpereigene Gefahrenradar, wie er es nennt, könne geschult werden. Es erfasse, wer sich im eigenen Umfeld bewege und drohende Gefahren. Wichtig sei eine angemessene Kommunikation – beispielsweise mit einem Gegenüber, der offensichtlich unter Einfluss von Rauschmitteln steht. Erst ganz zum Schluss stehe „eine verhältnismäßige Selbstverteidigung“.