BG Verkehr „Sicherheitsprofi“, Uwe Roth, 01.03.2019
Fahrerassistenzsysteme haben bei manchen Profi-Lkw-Fahrern leider immer noch einen schlechten Ruf. Ein Fahrlehrer berichtet, wie er von Anfang an Überzeugungsarbeit leistet.
Manchmal brauchen Trucker drastische Bilder, um nachdenklich gestimmt zu werden: „Stellen Sie sich einen Feuerwehrmann vor“, sagt Fahrlehrer Rainer Sofka seinen Kursteilnehmern. „Der hat eine volle Ausrüstung und stürmt trotzdem nur in Unterhose bekleidet in ein brennendes Haus.“ Verständnislose Blicke. Sofka erklärt: Dieses unsinnige Verhalten sei vergleichbar mit einem Lkw-Fahrer, der seinen Notbremsassistenten abschalte, weil er sich von diesem Gerät fremdbestimmt fühle. Ein Zuhörer bekennt, dass er sich mit der in seinem Lkw verbauten Technik bis jetzt nicht im Detail beschäftigt habe.
Fahrerassistenzsysteme entmündigen nicht
Jörg Hartmann sagt im anschließenden Gespräch, es sei
Quatsch, dass solche Systeme Fahrer entmündigten. Hartmann ist Chef der
gleichnamigen Fahrschule in Plochingen südlich von Stuttgart, Marktführer in
Baden-Württemberg für Aus- und Weiterbildung von Lkw- und Busfahrern. „Der
Fahrer kann jederzeit das Geschehen kontrollieren“, bekräftigt er. „Das System
greift erst aktiv ein, wenn der Fahrer bis kurz vor dem Aufprall nicht
reagiert. Bis dahin wird der Fahrer optisch und akustisch vor einer drohenden
Gefahr gewarnt.“
Vorurteile bei Lkw-Fahrer abbauen
Hartmann muss es wissen. Zu seinem aus sieben Lkw und zwei
Bussen bestehenden Fuhrpark gehört ein Mercedes-Benz Actros 2540, der über
einen Notbremsassistenten verfügt, der stehende Fahrzeuge und auch Fußgänger
erkennt. Es ist der Active Brake Assist 4. Neben einem Abstandsregeltempomaten
und Spurhalteassistenten gehört zudem ein Abbiegeassistent zur Ausstattung.
Hartmann war in Deutschland der Erste, der Sensoren am Fahrschul-Lkw hatte, die
Fußgänger und Radfahrer im toten Winkel registrieren und dies mit einem
schrillen Piepton dem Fahrer melden. „Jeder unserer Fahrschüler wird an diesen
Systemen ausgebildet“, sagt er. „Wir wollen ihnen zeigen, was der Markt kann.“
Im Theorieunterricht allerdings werde insbesondere der Abstandsregeltempomat (Adaptive Cruise Control/ACC) von manchem Kursteilnehmer immer noch „hinterfragt.“ Die dagegen vorgebrachten Gründe nennt der Chef der Fahrschule „fadenscheinig“. Die Schüler kennen seiner Beobachtung nach oft die neueste Technik nicht, dafür aber längst beseitigte Anfangsschwächen. So werde fälschlicherweise argumentiert, dass der Lkw jedes Mal automatisch bremse, wenn vor ihm ein Fahrzeug einschert. Der Assistent bremst aber nur, wenn der eingestellte Abstand dauerhaft unterschritten wird und nicht, wenn das eingescherte Fahrzeug beschleunigt oder die Fahrbahn verlässt.
„Es macht bei der Verkehrsdichte keinen großen Zeitunterschied, ob man ein paar Stundenkilometer langsamer fährt.“
Jörg Hartmann
Jüngere Fahrer sind weniger skeptisch Die Akzeptanz von Assistenzsystemen ist in vielen Fällen vom Alter der Kursteilnehmer abhängig, beobachten die Fahrlehrer. Besonders in Weiterbildungskursen, an denen ältere Lkw-Fahrer teilnähmen, die sich selbst als sehr erfahren bezeichneten, werde die Technik gerne kritisiert. Jeder Dritte verzichte sogar auf den Sicherheitsgurt, um das vermeintliche Gefühl der Truckerfreiheit zu spüren. Der Elektronik die Regelung der Geschwindigkeit zu überlassen, werde als Gängelung empfunden, die wertvolle Fahrzeit koste. „Die Zeiteinsparung wird maßlos überschätzt“, hält Hartmann dagegen. „Es macht bei der Verkehrsdichte keinen großen Zeitunterschied, ob man ein paar Stundenkilometer langsamer fährt.“ Lkw- und Busfahrer unterscheiden sich seiner Erfahrung nach in diesem Punkt kaum.
Junge Leute mögen keine Technik von gestern
Häufig hänge die Aufgeschlossenheit davon ab, welche Systeme
ein Fahrschüler in seinem Privatwagen nutze. „Wer ein modernes Auto hat, ist
gegenüber Assistenzsystemen aufgeschlossener“, sagt Fahrlehrer Franz-Peter
Dick. Mancher Fahranfänger sei schlicht überfordert, wenn ein Hebel drei
Funktionen habe. „Zu Beginn ist der Fahrschüler mit der Größe seines Fahrzeugs
beschäftigt.“ Da werde es subjektiv als Erleichterung empfunden, sämtliche
Assistenzsysteme abschalten zu können – sogar die vorgeschriebenen. Wer jedoch
mit der Playstation aufgewachsen sei, „der hat die Technik schnell im Griff“.
Hartmann bestätigt: „Je jünger, umso affiner. Junge Leute mögen keine Technik
von gestern.“
Technisch auf dem neuesten Stand Die Fahrschule Hartmann hat einen mobilen Fahrsimulator. Fast 900.000 Euro hat der Lkw-Anhänger mit der gesamten Computertechnik gekostet. Die Software kann Notfallsysteme simulieren. Gefahrlos testen die Fahrschüler aus, was die Technik in extremen Situationen kann und was passiert, wenn sie ausgeschaltet ist. „Das öffnet manchem die Augen.“
Fahrer sind ein „großer Schatz“
„Die großen Hersteller bieten ausgereifte Systeme an, die
auch nicht die Welt kosten“, sagt Dick. Ein Auffahrunfall sei teurer. Hartmann
ergänzt, früher sei für einen Unternehmer der Fuhrpark „sein größter Schatz“
gewesen. „Heute sind es seine Fahrer.“ Der Verlust eines guten Fahrers „tut
unendlich weh“. Was das bedeutet, können die Fahrschüler an diesem Tag in den
Nachrichten hören. Zwei tragische Unfälle hat es am Morgen im Raum Stuttgart
gegeben, in die zwei Lkw verwickelt waren und bei denen ein Fahrer starb. In
einem Fall knallte das Fahrzeug auf der Autobahn auf ein Stauende. Ein moderner
Notbremsassistent hätte den Lkw mit Sicherheit rechtzeitig zum Stehen gebracht.
Uwe Roth Journalist