Berufspendler nutzen die S-Bahn. Quelle: VVS

Stuttgart: Zum Job raus aus der Stadt

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UWE ROTH |

Immer mehr Stuttgarter fahren zur Arbeit raus aus ihrer Stadt. Die gute Konjunktur lässt Jobs im Umland entstehen. Stuttgart verschmerzt das locker.

Früher war es zur morgendlichen Rushhour ein gewohntes Bild: Die S-Bahnen Richtung Stuttgart sind rappelvoll, die Züge aus der Gegenrichtung so gut wie leer.  Abends das gleiche Bild, nur in umgekehrter Fahrtrichtung. Ähnlich ist die Situation auf den Ein- und Ausfallstraßen. Morgens Stau rein, abends Stau raus. Stuttgart ist der Arbeitsort mit den meisten Berufspendlern in der Region.

Das wird er zweifellos weiterhin bleiben. Doch in den Morgenstunden füllen sich die S-Bahnen und Straßen raus aus Stuttgart zunehmend. Dass dies ein Trend ist, lässt sich mit der Statistik über die sozialversicherungspflichtig Beschäftigten in Stuttgart belegen, wenn man sie sortiert nach Wohn- und Arbeitsort. Danach hat sich zwischen 1990 und 2015 die Zahl der sogenannten Berufsauspendler beinahe verdoppelt.

Jeder siebte Einwohner – somit rund 82 000 Stuttgarter – verlässt laut Statistischem Amt der Stadt Stuttgart täglich seinen Wohnort, weil er einen Job außerhalb hat. Vor zehn Jahren waren es 57 000 Auspendler. Prozentual betrachtet fällt die Entwicklung bei den Einpendlern hingegen bescheiden aus: In den vergangenen 25 Jahren stieg ihre Zahl um gerade 15 Prozent.

Jürgen Wurmthaler, Leitender Direktor beim Verband Region Stuttgart (VRS), bestätigt diese Entwicklung, sagt aber: „Man muss sich die Zahlen schon genauer betrachten. Unterm Strich hat Stuttgart immer noch sehr viel mehr Ein- als Auspendler.“ Mit täglich 235 000 Einpendlern kommen vier Mal mehr Berufstätige in die Stadt, als diese sie tagsüber verlassen. Nach wie vor entstehen in der Landeshauptstadt mehr Arbeitsplätze als in irgendeiner anderen Stadt der Region, sagt Wurmthaler, zuständig beim VRS für Wirtschaft und Infrastruktur. „Der Zuwachs an Einpendlern ist deshalb weiterhin höher als der an Auspendlern“, stellt er fest.

Dass die kontinuierlich wachsende Gegenbewegung zu den Einpendlerzahlen dennoch bemerkenswert ist, ist unterschiedlichen Entwicklungen geschuldet, wie ein Vergleich der Statistiken ergibt. Stuttgart ist als Firmenstandort attraktiv. Das gilt besonders für Dienstleistungsunternehmen. Doch Gewerbegebiete sind knapp und teuer. Folglich ziehen sie von der Innenstadt an die Peripherie. Mitarbeiter, die in Stuttgart leben, werden zu Pendlern, wenn sie einen Arbeitsplatzwechsel vermeiden wollen.

Davon profitieren die Kommunen im Umland und besonders diejenigen, die verkehrlich gut angebunden sind. „Der Andrang ist so groß, dass die Kommunen sogar wählerisch sein und sich die Firmen für die Neuansiedlung aussuchen.

Einen weiteren Faktor, den Beschäftigte zu Berufspendlern macht, liefert die Statistik der Umzüge. Berufstätige suchen sich ihren Wohnort nicht in erster Linie nach der Nähe zum Arbeitsplatz aus. Zwar ziehen Menschen aus Stuttgart ins Umland, weil ihnen die Mieten zu hoch geworden sind. Doch umgekehrt ziehen junge Leute sehr gerne nach Stuttgart, auch wenn sie dort nicht arbeiten und somit zwangsläufig zu Pendlern werden. Das Statistische Amt der Stadt hat jüngst mitgeteilt, dass in den vergangenen Jahren die Zahl der jungen Erwachsenen zwischen 18 und 30 Jahren um knapp 20 Prozent auf circa 110 000 Personen angewachsen ist.

Die gemeinsame Basis dieser Trends ist die gute Konjunktur. Hält sie in der Region an, werden neue Arbeitsplätze vor allem außerhalb der Landeshauptstadt entstehen und somit mehr Stuttgarter zu Auspendlern machen. Davon jedenfalls ist der VRS-Direktor überzeugt.

Mobilitätsmanagement Rund 900 000 Menschen in der Region Stuttgart pendeln täglich zu ihrem Arbeitsplatz. Der Verband Region Stuttgart rät Unternehmen zu einem betrieblichen Mobilitätsmanagement. Beschäftigten soll die Bildung von Fahrgemeinschaften, der Umstieg auf den ÖPNV oder aufs Rad erleichtert werden.

Argumente Beschäftigte, die mit öffentlichen Verkehrsmitteln, mit dem Rad oder zu Fuß entspannt im Betrieb ankommen, sind motivierter, produktiver und seltener krank als ihre Kollegen, die mit dem eigenen Pkw anreisen. Das ergab ein Fehlzeitenreport der AOK.

Profit Auch die Unternehmen selbst profitieren: So können sie sich die Kosten für vorzuhaltende Parkplätze sparen. uro