Stuttgart: VfB brüskiert die Stadt

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SWP Uwe Roth 27.02.2017

Der VfB-Präsident empfiehlt Nachwuchsspielern den Wechsel auf eine Privatschule außerhalb Stuttgarts. Die Empörung in der Landeshauptstadt ist groß.

Der VfB Stuttgart ist eine Kooperation mit dem Kolping-Bildungswerk eingegangen. Der Verein sieht nach eigener Mitteilung den Vorteil darin, dass die von der katholischen Kirche getragene Bildungseinrichtung alle Schulformen – Realschule, Gymnasium und Berufskolleg – unter einem Dach habe. Der Schulbesuch auf einem gemeinsamen Campus gebe den schulpflichtigen Leistungssportlern mehr Zeit für den Sport. So jedenfalls argumentiert VfB-Präsident Wolfgang Dietrich. Die Kolping-Lehrer hätten sich sogar bereit erklärt, dreimal die Woche nachmittags ins Nachwuchsleistungszentrum zu kommen, um Unterricht und Training enger zu verzahnen. Und das auch während der Ferienzeit.

Drei Eliteschulen bangen

Der nach Überzeugung des VfB-Präsidenten gut gemeinte Plan hat einen entscheidenden Haken: Das Kolping-Bildungswerk steht nicht auf Stuttgarter Gemarkung, sondern knapp daneben in Fellbach (Rems-Murr-Kreis). In der Landeshauptstadt reagierte man auf den angekündigten Schulortwechsel mit heller Empörung. Bis jetzt besuchen die 67 Schüler aus dem VfB-Nachwuchskader staatliche Schulen – im ganzen Stadtgebiet verteilt. Die Linden-Realschule und das Wirtemberg-Gymnasium in Untertürkheim sowie die Johann-Friedrich-von-Cotta-Schule im Stuttgarter Osten haben sich den Status „Eliteschule des Fußballs“ erworben. Sie sind damit die Verpflichtung eingegangen, den Trainingsbedürfnissen der jungen Leistungssportler soweit wie möglich entgegenzukommen.

Dem im Oktober 2016 zum VfB-Präsidenten gewählten Dietrich ist die Anpassungsfähigkeit einer staatlichen Schule im Vergleich zu einer privaten aber offensichtlich zu gering. Flexibel einsetzbare Lehrkräfte und ein gemeinsamer, wenige Minuten langer Weg der Schüler von Fellbach zum Training in die Mercedesstraße sparten Zeit und Energie, begründet der VfB seine Empfehlung an die Eltern zum Schulwechsel im Sommer. Das Schulgeld von durchschnittlich 150 Euro im Monat (laut der Internetseite des Kolping-Bildungswerks) übernehme der Verein.

Grüne: „Grobes Foulspiel“

Die Schulleiter tobten, weil ihnen der VfB von seinen Plänen vorab nichts verraten habe und sie kalt erwischt worden seien. Sie fürchten nicht nur um ihr Renommee als Eliteschule, sondern auch um Fördermittel des Deutschen Fußball-Bundes, die es dafür gibt. Die Grünen im Stuttgarter Gemeinderat werfen Dietrich „grobes Foulspiel“ vor, weil er mit seinem Schritt in den Nachbarkreis „quasi aus dem Nichts“ dem Ruf Stuttgarts als Sportstadt schade. Auch pädagogisch sei es nicht sinnvoll, wenn die jungen Sporttalente die Umgebung einer öffentlichen Schule verließen. Sie verlören dadurch „ein Stück Bezug zum normalen Leben“.

Sogar Kultus- und Sportministerin Dr. Susanne Eisenmann (CDU) rügte öffentlich die Vorgehensweise des VfB-Präsidenten, obwohl die Angelegenheit rein kommunal ist und nicht mehr in der Zuständigkeit der früheren Stuttgarter Schulbürgermeisterin liegt. Sie trug ihre Beschwerde zum Landessportverband und Württembergischen Fußballverband, weil sie fürchtet, dass das Beispiel des VfB Schule machen könnte und weitere Sportvereine mit schulpflichtigen Leistungssportlern den Eliteschulen den Rücken kehrten.

Dietrich verteidigt den vorgeschlagenen Schulwechsel mit einer notwendigen „Optimierung des Nachwuchsbereiches, um dauerhaft konkurrenzfähig zu sein“, wie er in einem offenen Brief an den zuständigen Bürgermeister und die Fraktionsvorsitzenden des Gemeinderats schreibt. Der VfB müsse „sich wieder stärker auf die Förderung seines Nachwuchses konzentrieren“. Dietrich ist überzeugt: „Je mehr Individualität bei der Ausbildung der einzelnen Spieler, je mehr Möglichkeiten angeboten werden – umso größer werden die Chancen für den jeweiligen Spieler.“

Alte Wunden aufgerissen

Der VfB-Präsident hat offensichtlich unterschätzt, wie sensibel man in Stuttgart auf Nachrichten reagiert, die Zweifel an der Fähigkeit zur Sportstadt säen. Die 2003 in den Sand gesetzte Olympia-Bewerbung ist nicht vergessen. Susanne Eisenmann ist während ihrer Amtszeit im Rathaus vorgeworfen worden, die Stadt habe den Anschluss an den Spitzensport verpasst. Und Dietrichs Rolle als ehemaliger Sprecher von Stuttgart 21 haben ihm die Projektgegner unter den Gemeinderäten bis heute nicht verziehen.

Nach den Protesten stellte ein VfB-Sprecher klar: Das Angebot an die Eltern zum Schulwechsel sei optional. Sie hätten die Entscheidung darüber, auf welche Schule ihr Kind geht. Bereits jetzt besuchten Nachwuchsspieler des VfB die Kolping-Schule, daher betrete der Verein kein Neuland. Mit den Eliteschulen seien im Übrigen keine Kooperationen gekündigt worden. Letztlich gehe der VfB aber davon aus, dass das Angebot so attraktiv sei, dass eine große Zahl im Herbst den Schritt nach Fellbach machen werde.

Eliteschulen Das Zertifikat wird vom Deutschen Fußball-Bund (DFB) seit 2006 vergeben. Es ist mit Fördergeldern in variabler Höhe verbunden.

Nachwuchsförderung Eliteschulen kooperieren mit den Jugendleistungszentren der Fußballvereine. In eigens eingerichteten Sportler-Klassen gibt es flexible Schulzeiten und Klausurtermine. So unterstützen die Schulen die Ausbildung potenzieller Profifußballer im sportlichen und schulischen Bereich. uro