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SWP Uwe Roth 22.01.2018

In Stuttgart sind große Potenziale vorhanden. Die offene Frage ist, in welchem Zeitraum diese genutzt werden können. Von Uwe Roth

Neben Stuttgart 21 ist der Wohnungsmarkt das kommunalpolitische Dauerthema in der Landeshauptstadt: „Mit zehn Euro liegt Stuttgart bei den Bestandsmieten inzwischen auf gleichem Niveau wie München“, klagt SPD-Fraktionsvorsitzender Martin Körner. In Frankfurt und Hamburg seien die Mieten 20 Prozent günstiger. Die Ursache sieht er darin, dass in diesen Großstädten jede sechste Wohnung einen kommunalen Träger hat. Im Gegensatz dazu sei dies in Stuttgart lediglich bei jeder 16. Wohnung der Fall. Auf Antrag der SPD habe der Gemeinderat entschieden, die Zahl der kommunalen Wohnungen in den kommenden Jahren von 18 000 auf 30 000 zu erhöhen – „gegen die Stimme des Oberbürgermeisters“, wie Körner betont.

Der SPD-Politiker wirft Fritz Kuhn (Grüne) insgesamt ein Versagen in der Wohnungsbaupolitik vor: „Der Bau neuer, zusätzlicher Wohnungen ist in Stuttgart in 2016 um fast 20 Prozent zurückgegangen. Das ist ein verheerend schlechtes Ergebnis.“

1800 zusätzliche Wohnungen jährlich

Der städtische Wohnungsbaukoordinator Stefan Hohbach hält dagegen: „Das Ziel, jährlich 1800 Wohneinheiten und ein paar mehr zu schaffen, ist schon ganz gut“, versichert er. Laut seiner Statistik sind 2015 und 2016 jeweils über 2100 Wohneinheiten fertiggestellt worden. 2017 dürften ähnlich viele auf den Markt gekommen sein. Aktuelle Zahlen werden im Frühjahr veröffentlicht. In der Statistik sind allerdings die Unterkünfte für Flüchtlinge enthalten. Dies seien in der Regel Systembauten, „die nicht für die Ewigkeit gedacht sind“, sagt der 53-jährige Architekt, dessen Arbeitsplatz direkt beim Stab des Oberbürgermeisters angesiedelt ist. Einige solcher Unterkünfte könnten später zu Studierendenwohnheimen umgewandelt werden. Für den Wohnungsmarkt relevant sei das aber nicht, stellt er fest.

Wie viel Wohnraum die Stadt benötige, um die Nachfrage einigermaßen zu befriedigen und die Mieten nicht weiter ansteigen zu lassen, lasse sich nicht ehrlich beantworten, erklärt der Wohnungsbaukoordinator. Im Grunde werde nirgends statistisch erfasst, wie viele Menschen tatsächlich auf der Suche seien.

24000 Wohneinheiten auf der Liste

Stuttgart habe ein größeres Potenzial für mehr Wohnraum, als öffentlich diskutiert werde, betont Hohbach. Was möglich sei, pflege das Stadtplanungsamt in die sogenannte Zeitstufenliste Wohnen ein. Mitarbeiter erfassen regelmäßig im Stadtgebiet, wo eine Nachverdichtung oder sogar ein Neubau möglich sind. Aktuell enthält die Liste etwa 24000 potenzielle Wohneinheiten. Hohbach rechnet im Schnitt mit 2,5 Personen je Wohneinheit. Folglich könnte Wohnraum für etwa 60 000 Menschen entstehen.

Der Koordinator ist überzeugt, dass „sich 17 500 Wohneinheiten kurz- und mittelfristig, also in drei bis sechs Jahren, realisieren lassen“. Unwägbarkeiten seien aber nicht ausgeschlossen. Da Stuttgart 21 später fertig wird, bleibt das Gleisvorfeld – die größte Reservefläche der Stadt – noch längere Zeit für eine spätere Bebauung blockiert.

„Für die CDU-Fraktion geht Innenentwicklung vor Außenentwicklung“

Im Gemeinderat sieht man nicht Flächenmangel als Grund für den fehlenden insbesondere günstigen Wohnraum, sondern andere Faktoren: Philipp Hill, CDU-Fraktionssprecher für den Städte- und Wohnungsbau, schätzt das Potenzial sogar auf 50 000 Wohneinheiten, ohne dass Flächen auf der grünen Wiese ausgewiesen werden müssten. „Für die CDU-Fraktion geht Innenentwicklung vor Außenentwicklung.“ Für den schleppenden Fortschritt beim Wohnungsbau macht er eine ausufernde Bürokratie verantwortlich: Gutachten um Gutachten verzögerten den Planungsprozess. „Wenn ich vor 20 Jahren eine Vorlage zu lesen hatte, war die vier Millimeter dick. Heute ist sie zum gleichen Thema drei Zentimeter.“

Grüne sieht Geldpolitik als eine Ursache

Silvia Fischer, wohnungspolitische Sprecherin der Grünen, sieht auch die Geldpolitik als Ursache: „Da wegen der niedrigen Bankzinsen immer mehr Geld herumgeistert und in Beton angelegt wird, ist die Nachfrage zum Kauf von Wohnraum sehr hoch, und es wird fast jeder Preis bezahlt“, sagt sie. Dadurch verknappt sich nach ihrer Überzeugung der Bestand an günstigerem Wohnraum zulasten der Menschen mit geringerem Verdienst. Eine Entspannung auf dem Wohnungsmarkt könne aber nur mit den Kommunen rund um Stuttgart erreicht werden.

Investoren wiederum beklagen eine schleppende Bearbeitung von Bauanträgen. Dem entgegnet Koordinator Hohbach: Eine Baugenehmigung werde im Schnitt nach 63 Bearbeitungstagen erteilt – vorausgesetzt der Bauherr schlampere nicht beim Ausfüllen der Anträge.

Neubauten zwischen Killesberg und Neckarpark

Projekte Zeitnah werden auf den großen Entwicklungsgebieten, die sich alle in städtischer Hand befinden, Wohnungen entstehen, sagt die Grünen-Gemeinderätin Silvia Fischer: 220 Wohnungen im Olga-Areal seien im Bau, im Areal am Wiener Platz entstünden 150 Wohnungen, am Killesberg im Gebiet „Rote Wand“ 120, auf dem Areal des ehemaligen Bürgerhospitals rund 600 und im Neckarpark rund 650 Wohneinheiten. Auf all diesen Arealen entstünden zu 80 Prozent geförderte Wohnungen.

IBM-Areal Auf dem IBM-Areal in Vaihingen könnten 500 bis 1000 Wohneinheiten gebaut werden, schätzt Wohnungsbaukoordinator Stefan Hohbach. Doch die Eigentumsverhältnisse seien schwierig. 2015 gab es einen Städtebau-Wettbewerb. Doch bis heute ist nicht geklärt, wie es weitergeht.⇥uro