Stuttgart CSD 2017: Party, Protest und etwas Wahlkampf

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SWP Uwe Roth 31.07.2017

Christopher Street Day 175 000 Zuschauer säumen bei der großen Parade Stuttgarts Straßen. Die Community feiert Errungenschaften wie die Ehe für alle. Doch auch offene Baustellen werden benannt. 


Irgendwie haben die Zuschauer das Gefühl, die Bässe aus den Boxen wummern von Jahr zu Jahr stärker. Es wummert gewaltig aus den Lautsprechern der zahlreichen Partytrucks und Begleitfahrzeuge, die am Samstag drei Stunden lang bei bestem Wetter von der südlichen Innenstadt zum Stuttgarter Schlossplatz zur Kundgebung ziehen.

Beteiligung an der CSD-Parade ist so hoch wie nie

Nach Angaben der Veranstalter stehen 175 000 Menschen an den Straßenrändern. Der Stuttgarter Zug zum Christopher Street Day (CSD) mit dem Motto „Perspektiv-Wechsel“ ist einer von 60 in diesem Jahr in Deutschland und setzt sich aus 91 Formationen zusammen, die von 4600 Teilnehmern gebildet werden. „Die Beteiligung ist so hoch wie nie“, freut sich der Veranstalter, die Interessengemeinschaft CSD Stuttgart.

Nicht immer ist eindeutig zu erkennen, wie und ob die Teilnehmer das Motto der Parade „Per spektiv-Wechsel“ umsetzen. Viele bewegen sich einfach nur ausgelassen zur Musik. Dazwischen allerdings laufen Gruppen mit, deren Botschaften durchaus politisch sind und ein Bekenntnis zu Toleranz und Vielfalt. Manche sind originell, wie die der Straßenbahner: „Auch wir Gelben können bunt“, heißt ihr Paradespruch in Anspielung auf die Firmenfarbe der Stuttgarter Straßenbahnen.

Formation der Polizei im Demo-Zug des CSD

Einige Gruppen sind allein mit ihrer Teilnahme eine Botschaft: So ist zum zweiten Mal die Türkische Gemeinde Baden-Württemberg mit ihrem Vorsitzenden Gökay Sofuoglu an der Spitze dabei. Eine eigene Fußgruppe bildet die Alevitische Gemeinde. Eine katholische Kirchengruppe kann sich auf Papst Franziskus berufen, der dazu aufgerufen hat, die Kirche solle Homosexuelle um Vergebung bitten. Dass die Polizei nicht nur am Rand des Spektakels mit einem großen Aufgebot für Sicherheit sorgt, sondern sich selbst mit einer Formation an der CSD-Demo beteiligt, ist keine Selbstverständlichkeit.

Die politischen Parteien nutzen die Politparade für etwas Eigenwerbung zur Bundestagswahl im September. Besonders groß fährt die CDU mit einem weißen Partytruck auf. Auf der Rückseite hängt in Übergrößte ein Wahlplakat des Stuttgarter Bundestags abgeordneten Stefan Kaufmann. Er gehörte als bekennender Homosexueller zu den wenigen Christdemokraten, die sich bei der Abstimmung im Bundesrat offen für eine Ehe für alle ausgesprochen haben. Und er möchte wiedergewählt werden.

Parteien präsentieren ihre Kandidaten

Die Freien Wähler im Stuttgarter Gemeinderat und die FDP setzen in der Parade weniger auf schrille Kostüme, sondern ebenfalls wie die CDU auf viel PS und Dezibel. Auf dem deutlich kleineren Lkw der Grünen fährt unter anderem Parteichef Cem Özdemir mit. SPD-Landeschefin Leni Breymaier führt mit rotem Hut ihre bunte Truppe an.

Die eigentlichen Helden sind die Dragqueens, die in fantasievollen Kostümen und mit viel Make-up die Parade zur eigentlichen Schau machen. In der Woche davor war heiß diskutiert worden, wie viel nackte Haut moralisch erträglich sei. Chris Fleischhauer, Fernsehmoderator und Mitglied in der Jury, die die schönste Formation kürte, hatte angekündigt, er werde Nacktheit eher schlecht bewerten. Doch er hätte sich nicht sorgen müssen. Nur wenige Mitläufer zeigen mehr Haut als Stoff – im Gegenteil, viele haben unter der Sonne in ihren aufwendigen Kostümen zu leiden.

Ziele der Community noch nicht erreicht

Die abschließende Kundgebung auf dem Schlossplatz bestreitet Christoph Michl, der Geschäftsführer der CSD-Interessengemeinschaft im Wesentlichen allein (siehe Info). Er fragt sein Publikum: „Seid ihr politisch?“ und macht damit deutlich, dass mit der Öffnung der Ehe für Schwule und Lesben die politische Bewegung, zu der ebenso bisexuelle, transsexuelle, transgender, intersexuelle und queere Menschen gehörten, ihre Ziele noch nicht erreicht habe. Michl mahnt, die Community dürfe sich „nicht auseinanderdividieren lassen“.

Die Schirmherrin der Parade, Gabriele Arnold, ist lediglich mit einer Audiobotschaft vertreten. Die Prälatin der Evangelischen Landeskirche in Württemberg weilt zum Reformationsjubiläum in Wittenberg. In ihrem kurzen Grußwort sagt sie, dass sie die Schirmherrschaft als „sehr bereichernd“ empfunden habe. Sie sagt allerdings nichts, was den konservativen Flügel ihrer Kirche hätte erneut provozieren können. Dieser hatte ihre Schirmherrschaft abgelehnt.

Siehe auch:

http://journalistroth.eu/bunte-parade-gegen-vorurteile/