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SWP Uwe Roth 08.11.2016

Wie gefährlich ist der Gipskeuper im Untergrund beim S-21-Tunnelbau? Ein Bauexperte widerspricht Gutachtern, die vor Risiken warnen. Er verweist auf gebaute Tunnel.

Professor Walter Wittke hat in den vergangenen Jahrzehnten in Stuttgart und anderswo viele Tunnel gebaut. Ein Gutachten, das der Aufsichtsrat der Deutschen Bahn in Auftrag gegeben hat, zweifelt aber an Wittkes Sachverstand. Im Kern heißt es darin, dass die quellfähigen Gipskeuperschichten im Stuttgarter Untergrund manchem Röhrenkilometer entweder bereits beim Bau oder im späteren Eisenbahnbetrieb zu schaffen machen könnten. Kommt Wasser an solches Gestein, bläht es sich auf. Folge sind Sanierungskosten in Millionenhöhe. Tunnelsperrungen könnten nötig werden. Das Risiko für einen solchen Fall sei größer als bislang angenommen. Davon sind die von der Bahnaufsicht beauftragten Wirtschaftsprüfer überzeugt.

Ihren Bericht hält die Bahn unter Verschluss. Dennoch ist er an die Öffentlichkeit geraten. Die Vermutung wurde laut, dass der DB-Aufsichtsrat Argumente sammle, um sich gegebenenfalls vom umstrittenen Projekt distanzieren zu können.

Tunnelexperte Walter Wittke erläutert Medienvertreter seine Bautechnik. Foto: Uwe Roth

Tunnelexperte Walter Wittke erläutert Medienvertreter seine Bautechnik. Foto: Uwe Roth

Die DB Projekt Stuttgart-Ulm GmbH antwortete mit einer Pressekonferenz mit ihrem Gutachter. Das Problem: Wittke ist zwar von den Gegengutachtern befragt worden, wie er sagt, doch deren Ergebnis hat er bis heute nicht zu Gesicht bekommen. Auch zu Besuchen vor Ort war er nicht eingeladen worden. Folglich musste der 82-Jährige vor den Medienvertretern seine Tunnelgrabungstechnik verteidigen, ohne im Detail zu wissen, welche Fehler ihm der Berliner Prüfbericht ankreidet.

Wittke lud die Medienvertreter zuerst zum Chemieunterricht ein, bevor er sie mit in den Tunnel nahm, um in 30 Meter Tiefe zu demonstrieren, dass alles glatt verläuft. Der ehemalige Hochschulprofessor erläuterte den Unterschied zwischen ausgelaugtem und unausgelaugtem Gipskeuper oder welche Reaktion die Verbindung von Calciumsulfat und Wasser ergibt. Weil unausgelaugter Gipskeuper quillt und zu Verwerfungen führt, wenn er nass wird, sei die Herausforderung, Tunnel­abschnitte, die durch solches Gestein führten, trocken zu halten. Mit seiner Technik funktioniere das zuverlässig, versicherte er.  Beim Tunnelvortrieb werde beispielsweise kein Wasser zum Ausspülen des Abraums eingesetzt. Eine chemische Lösung, die ins Gestein eingespritzt werde und wie Kunstharz wirke, sichere den Gipskeuper vor Wasser und halte ihn trocken.

Bisher kaum Verschiebungen

Über die Hälfte der Problemzonen im Gestein seien von den Tunnelbauern schon erfolgreich bewältigt worden – ohne nennenswerte Quellerscheinungen. Messungen zeigten, dass quellbedingte Verschiebungen zwischen „null und wenigen Millimetern“ lägen. „Das ist eigentlich nichts“, sagt der Ingenieur. „Grund zur Besorgnis gibt es nicht.“ Auch langfristiger Sanierungsbedarf sei nicht zu erwarten.

Wittke verwies auf „seine“ bestehenden Tunnel in Stuttgart als Erfolgsmodelle – wie die Wendeschleife für die S-Bahn im Bereich der Schwabstraße, die problemlos seit 1977 in unausgelaugtem Gipskeuper ruht. Einen besseren Beweis für seinen Sachverstand gäbe es doch nicht.

Durchschlag Am 19. Dezember wird die aus Richtung Bad Cannstatt kommende rund 2460 Meter lange Oströhre am Nordkopf des künftigen Stuttgarter Hauptbahnhof am Fuß des Kriegsbergs ankommen. An der Durchlagsfeier wird Rüdiger Grube, Vorstandsvorsitzender der Deutschen Bahn AG teilnehmen.

Mehrkosten Um die Gesteinsrisiken in den Griff zu bekommen, hat die DB Projekt GmbH zusätzlich bis zu 100 Millionen Euro bereitgestellt. Damit liege man im Finanzierungsrahmen für Stuttgart 21 in Höhe von 6,526 Milliarden Euro, hieß es.