Stunde der Tunnel-Gegner

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SWP UWE ROTH |

Eine Baufirma fordert 18 Millionen Euro Nachschlag von der Stadt. Gegner des Rosensteintunnels sehen sich bestätigt, das Projekt sei eine Fehlplanung.

Tiefbauamtsleiter Wolfgang Schanz nennt es eine Sommerlochgeschichte. Die Fraktionsgemeinschaft SÖS-Linke-PluS hatte sich in einer Pressemitteilung über die Nachkalkulation von der Firma Wolff und Müller öffentlich geärgert. Statt der vereinbarten 41 will der in Stuttgart ansässige Baukonzern 59 Millionen Euro für seine Straßen- und Tunnelarbeiten am sogenannten Leuze-Knoten.

Für die linke Gemeinderatsfraktion, die 2012 den Bebauungsplan zum Rosensteintunnel gemeinsam mit den Grünen abgelehnt hatte, ist die wiederholt drohende Kostensteigerung Anlass, alte Argumente gegen das Projekt neu aufzulegen. „Angesichts von Feinstaub- und Stickoxydbelastungen ist jeder Cent für diesen Tunnel eine kontraproduktive Fehlinvestition“, gibt sich Fraktionschef Thomas Adler überzeugt und fordert den Rückbau des Leuze-Knotens.

Kollege Hannes Rockenbauch setzt eins drauf: „Es scheint das Merkmal von Tunnelprojekten zu sein, dass sie zur Geldgrube für die öffentliche Hand und zur Goldgrube für Konzerne werden.“ Die Kommunalpolitiker sehen es als einen weiteren Beweis „mangelhafter Transparenz“ seitens der Verwaltung, dass sie von den Geldforderungen aus der Zeitung erfahren mussten.

Die Auseinandersetzung ähnelt der um Stuttgart 21, nur dass nicht die Deutsche Bahn im Visier ist, sondern das Rathaus. Erneut geht der Streit darum, ob Stuttgart die durch seine Kessellage bedingten Verkehrsprobleme mit dem Bau von Tunneln in den Griff bekommen kann. Und die Gegner stellen die Frage nach der Ehrlichkeit bei den Kosten angesichts des schwierigen Bauuntergrunds und Grundwassermanagements, das auch den Projektbetreibern von Stuttgart 21 zu schaffen macht und zu einem der Kostentreiber geworden ist.

Im Mai vergangenen Jahres hatte die Stadtverwaltung für erste Irritationen gesorgt: Nur wenige Wochen nach dem Tunnelanstich hatte sie zögerlich Mehrkosten von 40 Millionen Euro zugegeben – ohne diese erst zu begründen. Als Erklärung schob sie nach: gestiegene Baupreise, geologische Unwägbarkeiten und die Suche nach Blindgängern aus dem Zweiten Weltkrieg.

Beim Grundsatzbeschluss des Projekts im Jahr 2009 hatte die Stadt mit 193,5 Millionen Euro gerechnet, vier Jahre später – also noch während der Planungsphase – mit 231 Millionen. Seit Juni 2015 lautet die offizielle Zahl 274,6 Millionen Euro. Das sind über 80 Millionen Euro mehr als ursprünglich kalkuliert. Der Betrag soll bis zur Inbetriebnahme des Tunnels in vier Jahren gehalten werden, versichert der Tiefbauamtsleiter.

Wolfgang Schanz ist der Überzeugung, dass die Nachforderung des Bauunternehmens keinen Anlass bietet, das Projekt generell infrage zu stellen. Er sagt, Nachforderungen seien nicht unüblich. Wegen der schwierigen Baustellenlage sei „ein Teil sicher berechtigt“. Die komplette Summe von 18 Millionen Euro stellt er indes durchaus infrage. Er sieht sie eher im einstelligen Bereich. Mit der Baufirma führe die Verwaltung „gute, wenn auch nicht einfache Gespräche“.

Der Tiefbauamtsleiter verneint die Frage, ob die Stadt auf eine juristische Auseinandersetzung zusteuere. Ende Juli hatte der Technikausschuss des Gemeinderats beschlossen, zusätzliche 2,8 Millionen Euro für Beratungsleistungen von Ingenieuren und Juristen auszugeben. Sie sollen Gegenargumente zu den geforderten Nachschlägen liefern. Auch diesen Schritt hält Schanz für nicht ungewöhnlich. Schließlich handele es sich bei diesem Projekt „um eine ganz andere Dimension“.

Doch so ohne weiteres scheint die Pressemitteilung „einer kleinen Fraktion im Gemeinderat“ (Schanz) nicht im Sommerloch zu verschwinden. Denn das Klimaschutzbündnis Stuttgart, der Verkehrsclub Deutschland und eine Bürgerinitiative, die sich seit Planungsbeginn gegen das Projekt stemmt, haben die Argumente aufgegriffen und verstärkt. So will eine Sprecherin der Schutzgemeinschaft „Krailenshalde“ Gesamtkosten von 300 Millionen nicht länger ausschließen. Da das Land als Zuschussgeber seinen Beitrag bei 112 Millionen Euro gedeckelt habe, müsse die Stadt für jeden zusätzlichen Euro aufkommen.

Zwischen dem Leuze-Tunnel und der Pragstraße drängeln und stauen sich entlang des Wilhelma-Zoos auf der Bundesstraße 10 täglich 200 000 Fahrzeuge, vor allem Lkws. Projektbefürworter sehen die Lösung darin, den Verkehr unter die Erde zu bringen. Gegner halten dagegen, dass der vierspurig zu befahrende Rosensteintunnel weiteren Verkehr in die Stadt holt und am Ende nichts gewonnen ist. Die Bürgerinitiative spricht von zusätzlich 23 000 Autos täglich.

Unterquerung Mit einer Gesamtlänge von rund 1300 Metern soll der Rosensteintunnel den Rosensteinpark sowie Teile der Stuttgarter Wilhelma unterqueren. Der Verkehr wird jeweils zweispurig im Richtungsverkehr durch die beiden Röhren auf direktem Wege zwischen den Knotenpunkten Pragsattel und der Verbindung am Mineralbad Leuze  geführt.

Rückbau Mit Inbetriebnahme des Tunnels werden den Plänen zufolge Verkehrsflächen in der Prag- sowie der Neckartalstraße durch Grünflächen ersetzt. Anwohnern soll der Zugang zum Neckarufer erleichtert werden.

Leuze-Tunnel Während die Arbeiten am Rosensteintunnel nach Angaben der Stadt planmäßig laufen, kommt es beim Ausbau des Leuze-Tunnels zu Verzögerungen. Ein neuer Kurztunnel ging nicht wie geplant Ende 2015 in Betrieb, sondern wird voraussichtlich erst 2017 dem Verkehr übergeben.uro