SWP UWE ROTH, 08.02.2016
Der Landkreis Esslingen bringt auffällig gewordene Flüchtlinge in speziellen Häusern unter. Das sorgt für Aufsehen. Andere Landratsämter in der Region setzen bislang auf individuelle Konfliktlösungen.
Die neue Sammelunterkunft für Problemflüchtlinge steht am Ortsrand der 6500 Einwohner großen Gemeinde Deizisau in einem Industriegebiet, nur wenige 100 Meter vom Kraftwerk Altbach entfernt an einem Hang mit Obstbäumen. Die beiden eingeschossigen Baracken bieten 28 Bewohnern Platz. Nachbarn gibt es keine – aber auch keine Absperrung.“Es geht nicht darum, Straftäter zu sanktionieren“, erläutert Marion Leuze-Mohr, die stellvertretende Landrätin. Dies sei Aufgabe der Strafverfolgungsbehörden. Leuze-Mohr beschreibt die Zusammenlegungsaktion als eine Art soziales Experiment: „Menschen, die sich nicht in größeren Unterkünften integrieren können, sollen in der kleinen Unterkunft die Chance für eine Stabilisierung erhalten.“Sie betont dabei, in erster Linie sei es Absicht gewesen, Ruhe in die Gemeinschaftsunterkünfte zu bringen, in denen „die auffälligen Personen“ immer wieder den Hausfrieden in vielfältiger Art gestört hätten. Funktioniert die Trennungsmethode, das hat die Kreisverwaltung bereits angekündigt, will sie „weitere Unterkünfte dieser Art“ einrichten.
Soweit sei es aber noch lange nicht, versichert Kreissprecher Peter Keck. Er muss den Medien das Experiment erklären. Und da der Landkreis Esslingen der erste war, der diesen Schritt einer Konfliktlösung in Sammelunterkünften gegangen ist, gibt es keine Vorlage, an der er sich orientieren kann.
Das Interesse der Medienvertreter an seinen Erklärungen ist groß. Aber bei mancher Anfrage beschleiche ihn das Gefühl, sagt er, dass der Aspekt der zweiten Chance für solche Flüchtlinge erst gar nicht zur Kenntnis genommen werde. Aus der offiziellen Formulierung „verhaltensauffällige Flüchtlinge“ wird in der Berichterstattung eine Personenbeschreibung, die mehr Aufmerksamkeit bringt: Pauschal ist dann von aggressiven oder gar kriminellen Flüchtlingen die Rede. Es sind Worte, die Pressesprecher Keck nie in den Mund genommen hat.
In der Region Stuttgart gibt es bisher keinen weiteren Landkreis, der dem Beispiel von Esslingen folgen will. In den Unterkünften des Landkreises Ludwigsburg werden in Streitfällen nach Auskunft des Sprechers mit auffälligen Flüchtlingen Gespräche geführt. „Wenn notwendig werden sie – soweit möglich und im Einzelfall sinnvoll – in andere, oft einfachere Unterkünfte des Landkreises verlegt“, erläutert die Sprecherin die Strategie und stellt fest: Insgesamt „stellen aggressive Flüchtlinge bisher keine besondere Problematik dar, auch wenn es bis jetzt hin und wieder zu Handgreiflichkeiten oder Schlägereien gekommen ist“. Auch im Landratsamt Böblingen spricht man von Einzelfällen. Der Sprecher sagt, bislang habe sich bewährt, bei Verstößen etwa gegen die Hausordnung den Verursacher „schnell aus dem gewohnten Umfeld in eine andere Unterkunft zu verlegen“. Die Erfahrung zeige, dass sich die Probleme dadurch in der Regel entschärfen ließen. Eine spezielle Unterkunft für auffällige Flüchtlinge sei im Landkreis Böblingen daher nicht geplant.
Die Auskunft der Verwaltung des Rems-Murr-Kreises klingt ähnlich: „Ausgehend von den Maßnahmen im Kreis Esslingen war diese Frage durchaus Thema im Koordinierungsstab Flüchtlinge“, teilt die Sprecherin auf Anfrage mit und sagt weiter: „Im Moment haben wir jedoch keine Pläne in dieser Richtung.“ Sie sagt: „Den aggressiven Flüchtling gibt es in dieser Form nicht, meist steckt ein Problem dahinter, das wir dann versuchen zu lösen. Schwerpunkte gibt es aus unserer Sicht nicht.“
Eine Lösung wie in Deizisau wäre in den befragten Landkreisen auch schwer zu finden. Überall wird händeringend nach weiteren Unterbringungsmöglichkeiten gesucht. Im Rems-Murr-Kreis sind nun sämtliche 31 Kommunen aufgefordert, Unterkünfte zu stellen. Im Landkreis Ludwigsburg wird derzeit eine weitere große Sporthalle eingerichtet.
Außer fehlendem Platz für Sonderunterkünfte sind auch mögliche Bürgerproteste das Problem, es dem Landkreis Esslingen gleichzutun. Der Deizisauer Bürgermeister Thomas Matrohs ist in die Offensive gegangen. Für ihn ist diese Projekt „Teil der gesellschaftlichen Verantwortung für die Flüchtlingsunterbringung, bei der sich alle Kommunen einbringen müssten“. Seine Gemeinde jedenfalls stelle sich der Verantwortung, betont Matrohs. Er hält Fragestunden ab und fordert die Bürger auf, individuelle Gesprächstermine mit ihm zu vereinbaren – „ganz egal, ob um sieben Uhr morgens oder erst um 21 Uhr abends“.
Nordafrikaner bleiben in Obhut des Landes
Reitstadion Das Regierungspräsidium Stuttgart hat – zur Überraschung der Stuttgarter Rathaus-Oberen – die Überführung von mittlerweile 70 nordafrikanischen Flüchtlingen aus der Lea Ellwangen nach Stuttgart in Unterkünfte am Reitstadion angeordnet. Das Gelände in der Nähe der Mercedes-Benz-Arena ist besonders gesichert. 30 Sicherheitsleute sind rund um die Uhr im Einsatz.
Risikogruppe Die Lenkungsgruppe Flüchtlingsaufnahme hat beschlossen, keine Flüchtlinge aus der Risikogruppe Nordafrika mehr aus der Erstaufnahme an die Landkreise weiterzuleiten, um diese zu entlasten. „In der Unterbringung durch das Land können wir diese teilweise problematische Klientel besser im Blick behalten“, lautet die Begründung.