Sonntag Aktuell Uwe Roth 08.02.2009
Mit einer „Buschzulage“ aufs Gehalt wurden sie in den Osten gelockt – oder mit der Aussicht auf eine Blitzkarriere: baden-württembergische Beamte, die nach dem Mauerfall Aufbauhilfe vor allem in Sachsen leisteten.
Seine DDR-Vergangenheit merkt man dem Spitzenbeamten nicht an. Staatssekretär Hubert Wicker hat sein Chefzimmer etwas versteckt in der Villa Reitzenstein. In Stuttgarter Halbhöhenlage verantwortet der 60-Jährige die Geschäfte der Landesregierung. Hubert Wicker ist Urschwabe, geboren in Ebingen auf der Schwäbischen Alb, und Begründer eines Fördervereins, der Kurse wie Schwäbisch für Anfänger und auch Fortgeschrittene finanziert. Sächseln liegt ihm fern, das Schwäbische im Blut.
Und doch hat der CDU-Politiker eine DDR-Vergangenheit, dokumentiert durch einen Dienstausweis der Deutschen Demokratischen Republik. Zu Beginn seiner sächsischen Beamtenlaufbahn muss er ihn vorzeigen, um in Dresden an seinen Arbeitsplatz zu kommen. Wickers Schreibtisch ist damals, kurz nach der Wende, in einem monumentalen Bau im Neorenaissancestil untergebracht. Über endlose Flure haben schon Generationen von Verwaltungsbeamten Akten getragen – zuerst durch die Kaiserzeit, dann die Weimarer Republik, die Naziherrschaft sowie zuletzt durch die Zeit des real existierenden Sozialismus. Seit 1990 verrichten sie als sächsische Landesbeamte ihren Dienst im wiedervereinigten Deutschland.
„Hochspannender Prozess“
Hubert Wicker ist im Oktober 1989, zum Zeitpunkt des Mauerfalls stellvertretender Abteilungsleiter Straßenbau im Stuttgarter Innenministerium und bereits im Dezember mit einer Delegation auf eine erste Stippvisite bei der Bezirksregierung in Dresden. Der damalige Ministerpräsident Lothar Späth hat frühzeitig die Kontakte hergestellt. Die DDR liegt in den letzten Zügen, da nimmt bereits eine sächsisch-baden-württembergische Verkehrskommission ihre Arbeit auf. Für den Schwaben, damals Anfang 40, begann mit der Stunde null der Ostdemokratie ein „hochspannender Prozess“, begleitet von einem Hauch Abenteuer, das in den Dienstvorschriften, wie er sie bisher kannte, nicht vorgesehen ist.
Anfangs pendelt Wicker zwischen Stuttgart und Dresden. Was aufreibend ist und Abenteuer genug, denn die Fahrt geht teilweise über die Dörfer, einmal benötigt er für die 500 Kilometer elf Stunden, bis er es endlich an die Elbe geschafft hat. So hat der Straßenbauexperte ein klares Bild davon, woran es den neuen Bundesländern fehlt: an Autobahnen im Westmaßstab. Um die konkreten Planungen kann er sich nicht lange kümmern. 1991 befördert ihn Ministerpräsident Kurt Biedenkopf (CDU) zum Staatssekretär. Was für eine Karriere nach nur wenigen Monaten Ostaufenthalt!
Für Bedenkenträger ist im DDR/BRD-Schmelztiegel kein Platz. „Du musstest hemdsärmelig sein, um dich durchzusetzen“, beschreibt er heute die größte Herausforderung, die sich ihm stellte. Ein „filigraner Jurist“, wie er sagt, wäre an der Aufgabe sicher verzweifelt, juristisches Fachwissen hätte beim Vorwärtskommen manchmal mehr im Weg gestanden, als in der Sache weitergeholfen. „Es war die Zeit der schnellen Entscheidungen“, resümiert Wicker und überlegt, was letztlich bei den Hauruckverfahren herausgekommen ist: „Es begann dann halt, irgendwie zu funktionieren, und es verbesserte sich nach und nach.“
Wicker spürt Misstrauen und vermisst Akzeptanz
Die Zusammenarbeit mit den Ostmitarbeitern verläuft holprig wie seine Dienstfahrten. Mit einigen steht er noch heute in gutem Kontakt. „Insgesamt aber war es nicht leicht, mit den Menschen richtig warm zu werden.“ Wicker spürt ihr Misstrauen und vermisst Akzeptanz. „Ihre Unsicherheit sind sie manchmal nur schwer losgeworden. Einige hatten Scheu, über ihre Vergangenheit zu sprechen. Es kam auch vor, dass sie dem Gespräch sogar aus dem Weg gegangen sind“, erinnert er sich an mühsam verlaufende Arbeitsbesprechungen, die ins Stocken geraten, sobald er mit dem Reden aufhört: „Sie selbst waren es nicht gewohnt, Fragen zu stellen.“ Es ist anstrengend. Nur eine Erklärung kann er dafür finden: „40 Jahre Sozialismus haben nicht nur das Land, sondern zum Teil auch die Menschen zerstört.“ Es sei keine Leistungsbereitschaft gefördert worden, Entscheidungen zu treffen und Verantwortung zu übernehmen.
Der Staatssekretär kümmert sich um den Aufbau des sächsischen Verwaltungsapparats und um eine Landkreisreform, wie sie ähnlich Anfang der 70er Jahre in Baden-Württemberg stattgefunden hat. Er arbeitet nach eigenem Bekunden wie ein Brunnenputzer, hat kaum Freizeit, schläft zwischen Mauerfall und Wiedervereinigung die wenigen Stunden „in Absteigen“, die zu betreten er sich im Westen geweigert hätte. Weil sich sein gesamter Alltag um den Ostaufbau dreht, fällt es nicht so auf, wie schwer es ist, Freunde zu finden. Auf den Fluren der Ministerien ist in den 90er Jahren immer mehr Schwäbisch zu hören. Leihbeamte aus dem Ländle bevölkern die Büros der Sachsen. Die meisten kommen mit Rückkehrgarantie und einigen Privilegien, von den zurückgebliebenen Kollegen gerne auch „Buschzulage“ oder gar „Schmutzzulage“ genannt. Es ist nicht schick, in den neuen Bundesländern zu arbeiten. Manche werden von ihren Vorgesetzten zwangsabgeordnet, andere lockt die Blitzkarriere, die man so in der Herkunftsbehörde hätte nicht hinlegen können.
„Man hatte damals mehr Freiräume“, sagt auch Hansjörg König. Er ist in Leonberg geboren, machte in Stuttgart eine Banklehre, studierte anschließend in Bayreuth Jura und erlebte dort die Wende beinahe vor der Haustüre. Weil Juristen gefragt sind, hat er 1992 kein Problem, beim sächsischen Finanzministerium unterzukommen, wo er „heiße Zeiten“ bei der Treuhand erlebt, wie er heute sagt. Hansjörg König ist seit 2005 Staatssekretär im Kultusministerium. Noch so eine Karriere.
Ende der Fahnenstange in Sachsen erreicht
Wicker gibt seine 1997 nach mehr als fünf Jahren im Innenministerium auf, als man ihn fragt, ob er nicht in Tübingen Regierungspräsident werden wolle. Im Rückblick, sagt er, sei politisch in Sachsen für ihn das Ende der Fahnenstange erreicht gewesen. „Entweder wäre ich heute noch Staatssekretär oder im Vorruhestand.“
Richtig und wahrscheinlich auch endgültig in Sachsen angekommen ist dagegen Lothar Hofner. Der Polizeibeamte wohnt in Murr im Landkreis Ludwigsburg, als er die Möglichkeit hat, Pressesprecher des Landeskriminalamts in Dresden zu werden. Heute ist er stellvertretender Pressesprecher des Innenministers und pflegt dabei schwäbische Mundart. Er fühlt sich rundum wohl, seine Frau ist nachgekommen und arbeitet ebenfalls im Ministerium. Schon Mitte der 90er Jahre baut er etwas außerhalb der Elbmetropole ein Haus für seine Familie. Einen Freundeskreis aufzubauen ist für sie kein Problem. Lothar Hofner kennt viele Fälle von Kollegen, die ursprünglich bleiben wollten, aber dann doch aus familiären Gründen aufgegeben haben. Auch 20 Jahre nach dem Mauerfall, sagt er, wisse man in seiner alten Heimat immer noch zu wenig über die tatsächlichen Lebensverhältnisse in seiner Umgebung. Uwe Roth