SWP, Uwe Roth 28.11.2016
Die Bürgerbeteiligung für das Rosensteinquartier ist abgeschlossen. Anders als das benachbarte Europaviertel soll das Areal zur Wohlfühloase für Familien werden.
Nach der kürzlich abgeschlossenen Bürgerbeteiligung soll diesmal alles besser werden. Bei der Gestaltung des Europaviertels zwischen Landesbank, Bahngleisen, Heilbronner und Wolframstraße hatten sich die Bürger vor vier Jahren lediglich an der Namensfindung für das geplante Einkaufzentrum beteiligen dürfen. Über den Rest des Neubauviertels entschieden diverse Investoren mit ihren Millionen.
Bei der Gestaltung des 80 Hektar großen Rosensteinquartiers in der Nachbarschaft zum mittlerweile zugebauten Europaviertel durften sich Bürger hingegen im laufenden Jahr sechs Monate lang aktiv beteiligen. Welche Bürgerwünsche letztlich umgesetzt werden, darüber entscheidet die Kommunalpolitik. Von der Stadtverwaltung war der Prozess als informell bezeichnet worden, also ohne rechtliche Konsequenzen.
Ergebnis wenig überraschen
Die Wünsche der Bürger für ein modernes Wohnen in einer Großstadt, die sich die Verwaltung während der Veranstaltungen notierte, sind wenig überraschend: Das Rosensteinviertel soll Lebensqualität erhalten über eine kleinteilige Bebauung, über eine Mischung aus teurem und günstigem Wohnraum, armen und reichen Bewohnern, über ein Miteinander von Jung und Alt, Singles und Familien, über Multikulti, eine Lebensmittelnahversorgung, Freizeitangebote – und über möglichst viel Natur unter Einbeziehung des nahen Neckars. Auf der Wunschliste für urbanes Leben fehlen weder Gärten für den Anbau von Obst und Gemüse, noch die Erhaltung von Frischluftschneisen und Sichtachsen sowie beste Verkehrsanbindungen und Voraussetzungen für einen zeitgemäßen Radverkehr.
OB Fritz Kuhn (Grüne) betonte anlässlich der Abschlusssitzung des Beteiligungsforums, eines sei ihm klar geworden: „Die Bürger haben einen Gegenentwurf zum Europaviertel herausgearbeitet und dem Bauen mit dem Taschenrechner eine klare Absage erteilt.“ Beim Rosensteinquartier sollen die planerischen Vorgaben anders gelagert werden: „Wir müssen erst fragen, was wollen wir haben und dann über die Finanzierung reden.“
„Kafkaesker Grusel“
Die Investoren des Europaviertels hatten nach ihrem Bekunden damals nicht vorgehabt, um die Stadtbücherei eine Bürowüste zu legen, in der abends und an Wochenenden nur Wind zwischen den Häuserschluchten unterwegs ist. Architekturkritiker lassen kein gutes Haar an der Bebauung. Kuhn überkommt gar „kafkaesker Grusel“. Dabei sollte im Viertel rund um das Shoppingcenter Milaneo dem Namen entsprechend mediterranes Flair einziehen.
Es kam anders. Und heute pocht die Stadt auf ihren Gestaltungsspielraum und ihre Unabhängigkeit von Rendite orientierten Investoren. 2001 hat Stuttgart die Entwicklungsfläche Rosenstein und weitere Flächen – insgesamt 120 Hektar – von der Bahn erworben. Somit ist sie Eigentümerin und könne bestimmen, was darauf entstehen soll, betonte Kuhn gegenüber den Bürgern im Forum: „Ich habe den Beteiligungsprozess aufmerksam verfolgt und bin beeindruckt, was dabei in Summe rausgekommen ist“, sagte er. Für den Gemeinderat habe das Memorandum „eine starke normative Vorgabe“. Die Bürger hätten einen Rahmen vorgegeben, „den der Gemeinderat nun diskutieren muss“. Die Ergebnisse aus der Bürgerbeteiligung passten außerdem „sehr gut zu der Idee einer Internationalen Bauausstellung“, sagte der Rathauschef.
100 qm für 1500 Euro Kaltmiete
Für den Gemeinderat heißt es, öffentliches Geld für einen lokalen Immobilienmarkt bereitzustellen. Im Europaviertel zahlt man für eine 100-Quadratmeter-Wohnung etwa 1500 Euro Kaltmiete. In der Nachbarschaft soll im Gegensatz dazu finanzierbarer Wohnraum für Familien entstehen, der zudem eine naturnahe Lage hat, die gleichzeitig stadtnah und gut verkehrsangebunden ist. Die Mieter im Europaviertel dürften sich ärgern, sollte die Mieten im Rosensteinquartier tatsächlich viel günstiger ausfallen.
Infobox
Das geplante Stadtviertel liegt nördlich vom Stuttgarter Hauptbahnhof und grenzt an den Rosensteinpark sowie den Unteren Schlossgarten. Auf der 80 Hektar großen Fläche befinden sich hauptsächlich Gleisanlagen und Gebäude der Deutschen Bahn und der Deutschen Post, die allerdings von dort längst weggezogen ist. Die Gleise werden bis zur Fertigstellung des neuen Tiefbahnhofs benötigt. Das Gelände kann folglich nicht vor dem Jahr 2021 neu gestaltet werden.
424,4 Millionen Euro hat die Stadt der Deutschen Bahn für die Grundstücke bezahlt. Der Wert wird heute auf mehr als das Doppelte geschätzt. uro