Uwe Roth, bw-Woche, 19.03.2007
Sie ist eine Europäerin, wenn nicht gar die Europäerin, die das Land im Europaparlament vertritt. Ihre Parteifreunde von den Freien Demokraten sehen in diesem Anspruch Sonne, aber genauso viel Schatten. Silvana Koch-Mehrin brachte die Partei 2004 als Spitzenkandidatin nach zehn Jahren Abstinenz wieder in die europäische Volksvertretung zurück. Dieser Triumph brachte ihr nicht nur lobende Worte ein sowie einen begehrten Präsidiumssitz in der FDP, sondern auch eine gewisse innerparteiliche Narrenfreiheit.
Dennoch grummelt es regelmäßig unter (kleineren) Parteifunktionären, weil sich die 36-Jährige partout nicht zu einer klassischen Parteiarbeit an der Basis verdonnern lassen will. Sie lebt lieber in Brüssel – auch an den Wochenenden. Ihre im Internet veröffentlichten Termine finden nur sehr selten im Umkreis ihres Karlsruher Wahlkreisbüros statt. „Mein oberstes Ziel ist das gelebte Europa der Bürger“, sagt sie. Und den Begriff Bürger sieht sie dabei nicht auf die Baden-Württemberger beschränkt.
Koch-Mehrin will nicht jeden Wähler einzeln von Europa begeistern. Vielmehr will sie mit ihren Aktivitäten außerhalb der parlamentarischen Arbeit die Meinungsführer im nationalen und internationalen Umfeld erreichen. Deswegen tritt sie mit Vorträgen an Universitäten und bei Kongressen auf, sie schreibt Gastbeiträge für renommierte Zeitungen – immer in der Hoffnung, dass der Funke auf ihr Auditorium beziehungsweise auf ihre Leserschaft überspringt und von denen irgendwann auf ihre Wähler im Land.
„Europa ist für mich nicht nur eine Idee, sondern eine Lebensüberzeugung. Ich gehöre zu der Generation, die von den Vorteilen des vereinten Europas schon früh profitiert hat“, sagt die Volkswirtschaftlerin. Sie studierte in Frankreich, in Belgien gründete sie eine Unternehmensberatung, ihr Lebensgefährte ist Ire, und ihre beiden Töchter haben drei Pässe, den deutschen, belgischen und irischen. Ihr Lebenslauf kennt eine globale Komponente: Geboren in Wuppertal, wuchs sie einige Jahre in Afrika auf. Koch-Mehrin verkörpert einen neuen Typus Politikerin, das musste ihre Partei akzeptieren.
Für ihre eigene Popularität braucht sie ihre Partei nicht, dafür sorgt sie schon selbst. Bundesweit bekannt wurde Silvana Koch-Mehrin weniger durch die üblichen Politikerstatements vor Fernsehkameras. Sie posierte stattdessen für Hochglanzmagazine und gab damit ein völlig neues Bild der Politikerin ab. Nicht ohne Erfolg. Die Zeitschrift „freundin“ kürte sie zur „Frau des Jahres 2000“. Das brachte ihr natürlich auch zahlreiche Talkshow-Termine ein, somit hatte sie zumindest zeitweise eine beachtliche Medienpräsenz, von der auch ihre Partei letztlich profitierte.
Im Europaparlament führt sie die deutsche FDP-Gruppe. Koch-Mehrin ist stellvertretende Vorsitzende der Fraktion der Liberalen und Demokraten für Europa (ALDE), im Haushaltsausschuss ist sie ordentliches, im Haushaltskontrollausschuss stellvertretendes Mitglied. Ein Ziel ihrer Politik sei, Vorurteile abzubauen. Zu oft gelte Europa als „elitärer Eurokratenklub“, der als Sündenbock für das Versagen nationaler Regierungen hinhalten müsse. Den Draht zu den kleinen und mittelständischen Unternehmern sowie Handwerkern im Land wird Koch-Mehrin dazu erst noch finden müssen.