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SWP Uwe Roth 03.04.2017

800 Helfer aus der Region Stuttgart sind an einem besonderen Projekt beteiligt: Im Stuttgarter Ostergarten haben sie Jesus’ letzte Tage nachgestellt.

Der Ostergarten ist ein Gewächshaus. Im Innern erinnert bis auf die knorrigen Olivenbäume nichts mehr an die ehemalige Gärtnerei zwischen Cannstatt und Fellbach. Auf 1600 Quadratmeter ist zwischen den gläsernen Wänden eine beeindruckende Kulisse aufgebaut – die Altstadt Jerusalems vor mehr als 2000 Jahren. Das aufwendig gestaltete Bühnenbild mit den dazu passenden Olivenbäumen ist unterteilt in elf Stationen. An denen warten Laienschauspieler und Laientänzer auf Besuchergruppen, um ihnen eine Schlüsselszene aus der Leidensgeschichte Jesus vorzuspielen: Jesus beim Abendmahl, im Gefängnis, am Berg von Golgatha und am Kreuz. Jede halbe Stunde kommt eine neue 25 bis 30 Personen große Gruppe vorbei. Pfadfinder aus der Umgebung gehören zu den ersten Besuchern.

Stuttgarter Ostergarten: Szenen aus der Leidensgeschichte Jesu. Foto: Uwe Roth

Stuttgarter Ostergarten: Szenen aus der Leidensgeschichte Jesu. Foto: Uwe Roth

Das Gewächshaus ist 14 Tage Stätte der Cannstatter Passionsspiele. Premiere war am Samstag. Bereits am Vormittag war der Andrang gewaltig. Hausherr ist Andreas Munder. Bis Ende 2015 hatte er an dieser Stelle einen großen Gärtnereibetrieb, zu dem auch die Aufzucht von Olivenbäumen gehörte. Doch bis auf dieses eine Gewächshaus hat der 56-Jährige alles an Pflanzen-Kölle verkauft. Auf die Frage, wie er zeitlich und finanziell das Riesenprojekt stemmen kann, antwortet er: „Ich bin in einer Art Vorruhestand.“ Vor einem Jahr sei die Idee zum Ostergarten aufgekommen, berichtet er. Derartige Veranstaltungen sind nicht neu. Im benachbarten Untertürkheim veranstaltet die Wallmerkirchengemeinde seit 2003 einen Ostergarten.

450 Helfer aus 31 Kirchengemeinden

Doch der neue hat eine völlig andere Dimension. Andreas Munder engagiert sich im Stuttgarter „Gospel Forum“, leitet dort eine christliche Männergruppe und hat darüber ziemlich viele Kontakte auch zu anderen kirchlichen Gruppen unterschiedlicher Konfession in der gesamten Region. Darüber fanden sich über 450 Helfer aus 31 Kirchengemeinden, die ein halbes Jahr lang in ihrer Freizeit das Gewächshaus so authentisch wie möglich in die Welt vorchristlicher Zeit verwandelt haben. Auf dem Gelände haben sie zudem Zelte und Verkaufsstände errichtet. Die Veranstalter sind auf jedes Wetter vorbereitet.

Stuttgarter Ostergarten: Szenen aus der Leidensgeschichte Jesu. Foto: Uwe Roth

Stuttgarter Ostergarten: Szenen aus der Leidensgeschichte Jesu. Foto: Uwe Roth

„16 300 Stunden haben alle zusammen geleistet“, hat Munder ausgerechnet. Darunter seien zahlreiche Handwerker gewesen, die zum Teil die Materialien mitgebracht und gespendet hätten. Ein Zimmermann brachte Balken von einem abgerissenen Bauernhaus. Porsche hat Lederreste gesponsert. Damit wurden stilecht die Sitzgelegenheiten bezogen. Hunderte Kostüme wurden selbst genäht. Die Profis haben Profiarbeit geleistet. Ein ganz Geduldiger hat wochenlang ein ziemlich großflächiges Mosaik täuschend echt gemalt. Ein anderer aus einem Panoramabild der Altstadt mit einem Bildbearbeitungsprogramm alles herausgeholt, was an die heutige Zeit erinnert. „Es ist ein ökumenisches Gemeinschaftsprojekt geworden“, stellt Munder fest. Viele Freundschaften seien mit der Zeit entstanden.

Beteiligte haben sich Urlaub genommen

Heike Zilly ist die Programmverantwortliche. Die 49-Jährige ist IT-Assistentin aus dem Enzkreis und hat die Szenen so nah an der Bibel wie möglich gestaltet, wie sie sagt. Im Gegensatz zu Weihnachten lasse sich die Ostergeschichte viel besser und aus unterschiedlichen Quellen belegen. Schauspieler und Tänzer sind Laien, doch trainiert wurden sie für die 16 Spieltage von Profis. „265 Personen halten den Betrieb aufrecht“, sagt Munder – täglich von 9 bis 21 Uhr. Die meisten Beteiligten haben sich für die Spielzeit Urlaub genommen. Wie in einem richtigen Theater gibt es einen Fundus und eine Kantine, die über den ganzen Tag geöffnet ist.

Stuttgarter Ostergarten: Szenen aus der Leidensgeschichte Jesu. Foto: Uwe Roth

Stuttgarter Ostergarten: Szenen aus der Leidensgeschichte Jesu. Foto: Uwe Roth

Von der Resonanz auf die erste Ankündigung des Ostergarten-Festivals ist Organisator Munder heute noch überwältigt. Die 14 000 Tickets (6,20, verbilligt 4,70 Euro) waren über Onlinebuchung flux vergriffen. „Die einstündigen Führungen sind leider ausgebucht“, muss er Interessierten mitteilen. Den Andrang erklärt er sich vom möglichen Wunsch der Menschen, Ostern intensiver erleben zu wollen, als das Fest auf Ostereier und Hasen – eventuell auf noch einen Gottesdienst – zu reduzieren. Der Ostergarten ist für die Organisatoren eine andere Art Kirche. „Vor Weihnachten gibt es die Weihnachtsmärkte, vor Ostern nichts“, stellt Heike Zilly fest. Viele wüssten schon mit der Bedeutung des Karfreitags nichts anzufangen. Ostergärten mit der Erinnerung an die Leiden Christi’ seien eine gute Vorbereitung auf das Fest.

Wenn am 17. April die letzte Führung beendet ist, wird Andreas Munder die Kulisse aus seinem Gewächshaus nicht abbauen lassen. „Wir machen es im nächsten Jahr wieder und wahrscheinlich sogar länger.“

Tradition Neben den Ostergärten in Cannstatt und Untertürkheim begeht die italienische Gemeinde in Cannstatt seit 30 Jahren die Karfreitagsprozession, seinerzeit die erste ihrer Art in Deutschland. An der Prozession nehmen in der Regel 100 Gläubige teil – nicht nur Italiener, für die Ostern unglaublich wichtig ist, sondern auch Deutsche. uro