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Staatsanzeiger Uwe Roth 12.04.2012

Stuttgart. Kanzleramtschef Ronald Pofalla (CDU) hat es politisch überlebt, Daniel Rousta nicht – eine unflätige Attacke auf einen anderen Politiker. Pofalla hatte seinen Parteifreund Wolfgang Bosbach angeschrien: „Ich kann Deine Scheiße nicht mehr hören.“

Rousta wiederum schrieb auf seiner Facebook-Seite von „FDPissern“, die die Schlecker-Rettung boykottiert hätten. Der 38-jährige Tübinger musste nach einem Aufschrei der Opposition im Landtag seinen Posten als Amtschef des Wirtschaftsministeriums von Baden-Württemberg aufgegeben.

Der Härtegrad beider Beleidigungen ist in etwa gleich. Doch Pofallas Ausfälligkeit im kleinen Kreis wurde als verbaler Ausrutscher in einer Stresssituation bewertet und schnell wieder vergessen. Rousta dagegen hat seinen Wutausbruch schriftlich in Facebook dokumentiert.

In der politischen Debatte prallen inzwischen Welten aufeinander

Wie die Kommentare zu seinem Facebook-Eintrag zeigen, hat Rousta, der inzwischen aus der SPD ausgetreten ist, viel Zuspruch erhalten, kaum Tadel. Auch junge SPDler wunderten sich über die Aufregung. CDU-Fraktionschef Peter Hauk und sein FDP-Kollege Hans-Ulrich Rülke dagegen freuten sich, einen schriftlichen Beweis für die politische Untat in ihren Händen zu halten, der letztlich zur Entlassung führte.

Der Fall zeigt: In der politischen Debatte prallen inzwischen Welten aufeinander: Zum einen die reale Welt der klassischen parlamentarischen Rede und der Zwischenrufe, zum anderen die virtuelle Welt von Facebook mit der „Gefällt mir“- und „Kommentieren“-Funktion.

Das gesprochene Wort und der schriftliche Kommentar – bei jüngeren Menschen verwischen sich da die Grenzen in der Bedeutung, sagen Sprachforscher. Heidrun Kämper vom Deutschen Institut für Sprache in Mannheim hat das bei ihren Studierenden festgestellt. Eine E-Mail ist für die Professorin immer noch ein Brief, bei dem es Formen einzuhalten gilt, wie sie sagt. Was sie dagegen von ihren Studenten gemailt bekomme, sei die „schriftliche Form eines mündlichen Gesprächs“; formuliert, als stünden sie ihrer Dozenten gegenüber. Sie schwätzen in Schriftform.

Parlamentsreden: Kontinuität findet ein Ende

Kämper beschäftigt sich mit der Geschichte der Politiksprache und hat festgestellt, dass sich in den Parlamentsreden der vergangenen 100 Jahre im Grunde wenig verändert hat. Doch die neuen Kommunikationsmedien könnten dieser Kontinuität ein Ende bereiten und zu einem neuen Debattenstil führen oder zu parallel laufenden Debatten. In Parlamenten finden sie mündlich statt, im Internet schriftlich, in deftiger Umgangssprache garniert mit Smilies, um Gefühle auszudrücken.

Die Piraten-Partei profitiert davon, dass sich Bürger mit der klassischen Politiksprache schwertun. Was etablierte Parteipolitiker im Kommunikationsstil der Piraten als respektlos und unflätig empfinden, wird von Wählern als offen und ehrlich geschätzt. Da eine politische Konkurrenz heranwächst, müssen sich etablierte Politiker mit dem neuen Debattenstil beschäftigen, Facebook & Co verstehen lernen und ein Stück weit auch akzeptieren.

Zwar haben viele Politiker der Generation über 45 mittlerweile eine Facebook-Seite. Doch oftmals wird die Pflege des Profils einem jüngeren Mitarbeiter überlassen mit der Anweisung, mit Ankündigungen von Veranstaltungen die Besucher der Seite in die reale Welt des Politikers zu locken. Und sich keinesfalls auf Debatten im Netz einzulassen.