Nächster Halt: Haustüre

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SWP Uwe Roth 05.04.2016

Naht das Ende des Bushalts? Der Idee „Bus on demand“ zufolge pickt der Busfahrer Fahrgäste bei Bedarf direkt vor deren Haustüre auf. Schorndorf testet das Konzept nun in einem Forschungsprojekt.

Der Trend: Fixe Zeiten, nach denen sich der Kunde zu richten hat, verschwinden peu à peu. Filme leihen und Musik kaufen kann heute jeder jederzeit allerorten. Bestellen und abrufen „on demand“, das Konzept hat schwäbische Tradition. Das Taxi gab es ja schon immer „on demand“ – und als erstes Auto wurde 1891 in Stuttgart ein Daimler mit einem Taxameter ausgestattet. Passend, dass spätestens von 2018 an in Gottlieb Daimlers Geburtsstadt Schorndorf (Rems-Murr-Kreis) auch Busse Fahrgäste „on demand“ abholen sollen.

Keine Fahrpläne, keine Haltestellen, der Bus hält auf Bestellung vor der Haustür – klingt nach einer kühnen Vision. Doch die Ideen von Prof. Horst Friedrich reichen noch weiter: Der Direktor des Stuttgarter Instituts für Fahrzeugkonzepte des Deutschen Zentrums für Luft- und Raumfahrt (DLR) kann sich vorstellen, dass das Fahrzeug „in etwas fernerer Zukunft“ ohne Busfahrer auskommt, künftig autonom Fahrgäste einsammelt und an ihrem jeweiligen Ziel aussteigen lässt.

Seine Ideen stellte Friedrich kürzlich beim Projektstart im Schorndorfer Rathaus vor. Auch Forschungsministerin Theresia Bauer (Grüne) war angereist. Sie brachte einen Scheck von Fördermitteln in Höhe von 1,2 Millionen Euro mit. Der Pilotversuch ist eines von landesweit einem guten Dutzend „Reallaboren“. In diesen erproben Forscher – gefördert mit insgesamt 15 Millionen Euro des Landes – in der Realität etwa neue Quartiers- oder Mobilitäts- und Energiekonzepte.

Das „Reallabor Schorndorf“, so der Projektteil, soll zwei Jahre arbeiten. Damit der Abrufbus Realität wird, forschen Wissenschaftler verschiedener Fachrichtung zusammen. Neben dem DLR sind die Uni Stuttgart und die Hochschule Esslingen beteiligt. Auch der Verkehrsverbund VVS und ein örtliches Busunternehmen sind Projektpartner.

Einen Startbildschirm für die geplante Abrufbus-App gibt es schon. Die Technik dahinter muss aber erst entwickelt werden. Später soll das Programm auf Basis der Bestellungen dem Fahrer die optimale Route in Echtzeit vorgeben. Am Ende darf das Angebot den VVS-Tarif nicht sprengen und es soll ökologisch herzeigbar sein. Gerade in den Vormittags-, Nachmittags- und späten Abendstunden, wenn die Busse fast leer ihre Routen abfahren, sehen die Wissenschaftler Potenzial. „Es gibt weltweit bereits Teillösungen“, sagt Projektleiter Matthias Klötzke, „doch mit der Verknüpfung entsteht etwas völlig Neues.“

Wobei technische Lösungen womöglich leichter zu erreichen sind als Wege, Bürgern das Angebot zugänglich zu machen. Vor allem für Ältere wäre es eine Erleichterung, könnten sie sich den Weg zur nächsten Haltestelle sparen. Aber gerade mancher Senior tut sich schwer mit dem Smartphone. „Da wir für das Quartiersbussystem auf feste Haltestellen, Linien und Fahrpläne verzichten, ergeben sich ganz neue Herausforderungen, zum Beispiel was die Kommunikation zwischen Fahrgast, Busfahrer und Leitstelle betrifft“, erklärt Klötzke. Um die Hürde tief zu halten, sollen Fahrgäste nicht nur per App ihre Fahrwünsche senden, sondern auch per PC oder Telefon. Auch Leitstelle und Busfahrer brauchen spezielle Anwendungen und Nutzeroberflächen, um die Bestellungen auszuwerten und umzusetzen.

Der erste große Projektabschnitt ist eine Bürgerbeteiligung, erläutert DLR-Mitarbeiter Klötzke. In welcher Form es sie geben wird, darüber wird derzeit nachgedacht. Vom Erfolg der Bürgerbeteiligung hängt eine Menge ab, ist Klötzke überzeugt. Spätestens im Herbst soll diese Phase beginnen.

Zusammen mit dem Busunternehmer überlegen die Wissenschaftler zudem, wie viele Sitzplätze der Bestellbus künftig haben muss. Die heutige gängige Größe wird er sicher nicht mehr haben, so Klötzke. „Der ÖPNV muss sich wandeln in Richtung Mobilitätsdienstleister“, sagte VVS-Geschäftsführer Thomas Hachenberger zum Projektstart. Die S-Bahnen müsse mit einer verbesserten Pünktlichkeit ihren Teil zum Projekterfolg beitragen, damit die Busse am Bahnhof trotz optimierter Routenplanung nicht ins Leere laufen.

Land fördert 14 Reallabore

Urban Das „Reallabor Schorndorf“ ist eines von sieben Projekten, das sich speziell mit urbanen Herausforderungen beschäftigt. „Reallabore Stadt“ gibt es auch in Heilbronn, Karlsruhe, Tübingen, Stuttgart/Herrenberg, Heidelberg und der Rhein-Neckar-Region. Dort werden etwa selbstfahrende Transportfahrzeuge, ein verbesserter Fußgängerverkehr und eine bürgernahe Quartiersgestaltung erprobt. Das Land stellt dafür rund 8 Millionen Euro zur Verfügung.

Vorgänger In einer vorangegangenen ersten Förderrunde bekamen sieben Reallabore insgesamt 7 Millionen Euro Förderung – etwa Vorhaben zur Gebäudenutzung, zum Nationalpark Nordschwarzwald und zur Stadtentwicklung.