Südwest Presse, Autor: UWE ROTH, 02.02.2016
STUTTGART: OB Fritz Kuhn bemängelt das schleppende Engagement der Kommunen in der Region beim sozialen Wohnungsbau. Die streiten sich derweil ums Geld und mit unwilligen Grundstückseigentümern.
Oberbürgermeister Fritz Kuhn (Grüne) nutzt die Gunst der Feierstunde: Bei der Preisverleihung „Beispielhaftes Bauen“ im Rathaus nimmt sich der Schirmherr des Wettbewerbs seine Amtskollegen in der Region zur Brust. In Gesprächen würden diese ihm versichern, wie notwendig die Schaffung bezahlbaren Wohnraums sei. Doch am Ende stünden meistens teure Einzel- oder Reihenhäuser auf hochpreisigen Grundstücken. Mit Ausnahme von Esslingen engagiere sich keine andere Kommune im sozialen Wohnungsbau, klagt Kuhn. Sollten wegen weiter steigender Mieten Menschen aus Stuttgart ins Umland ziehen, kämen sie als Pendler in die Landeshauptstadt zurück. Die Folge: noch größere Staus.
Was Ludwigsburg betrifft, halte die Aussage seines Kollegen einem Faktencheck nicht stand, kontert OB Werner Spec (parteilos). In den vergangenen Jahren habe die Stadt eine umfangreiche Baulandoffensive gestartet, über 7000 Einwohner seien hinzugekommen. Der größte Teil sei im Geschosswohnungsbau realisiert worden. Über das kommunale Programm „fair-Wohnen“ werde Mietern mit wenig Einkommen die Monatsmiete um ein bis zwei Euro je Quadratmeter reduziert.
Auch Christof Bolay (SPD), Oberbürgermeister von Ostfildern (Landkreis Esslingen), kann mit dem Vorwurf Kuhns wenig anfangen: Der Stuttgarter OB will nach seiner Einschätzung „mit dieser Vorwärtsverteidigung wohl eher von eigenen Defiziten ablenken“. Bolay verweist auf den Scharnhauser Park. Dort sei in zehn Jahren ein Stadtteil entstanden, in dem mittlerweile etwa 7500 Menschen lebten. Bis in drei Jahren würden dort weitere 1000 Menschen wohnen. „Wir haben bei der Konversion des Kasernengeländes Häuser und Wohnungen in allen Preisklassen anbieten können, das soll uns erst einmal einer nachmachen.“
Birgit Priebe, Baubürgermeisterin von Waiblingen, sagt: „Herr Kuhn hat möglicherweise recht, dass in der Region das Thema in den vergangenen Jahren aufgrund anderer Aufgaben wie dem Ausbau der Kinderbetreuung nicht mit erster Priorität bearbeitet wurde, aber die Städte sind finanziell auch nicht unendlich belastbar.“ Nach ihrer Ansicht ist dieses Thema vor allem in Stuttgart vernachlässigt worden. „Wir bemerken schon deutlich, dass Wohnungssuchende bei uns aufschlagen.“ Der Vergleich mit Esslingen hinkt ihrer Meinung nach, da in Esslingen eine Baugenossenschaft seit vielen Jahrzehnten „dieses Thema bespielt“. Eine solche Genossenschaft gebe es nur in wenigen Kommunen.
Dass es im Wohnungsbau nicht schneller vorangeht, liegt nicht allein am Geld, sondern auch „an der fehlenden Mitwirkungsbereitschaft der Grundstückseigentümer“, wie es die Baubürgermeisterin formuliert. Diese hätten häufig andere finanzielle Vorstellungen, die am Ende einen Ankauf verhinderten. Leider steckten bis zu dieser „bitteren Erkenntnis“ schon viele Monate Arbeit drin.
In der Stadt Leonberg sind über 90 Prozent der potenziellen Flächen in privatem Eigentum, sagt Stadtplanungsamtsleiter Peter Mauch. Schwierige Grundstücksverhandlungen seien da erwartungsgemäß „das größte Entwicklungshemmnis für neue Baugebiete“. Er schätzt, dass bis zum Jahr 2030 zusätzlich 400 geförderte Wohnungen erforderlich sind. Mitte März werde der Gemeinderat in einer Klausurtagung überlegen, wie dieses Ziel erreicht werden könnte. Finanziellen Spielraum sieht er kaum. Der städtische Haushalt sei durch Kreisumlage, Aufgaben der Kinderbetreuung und der Flüchtlingsbetreuung „sehr stark belastet“. Der soziale Wohnungsbau in Leonberg sei daher von zusätzlichen Fördermitteln durch Bund und Land abhängig.
Der Regionalplan des Verbands Region Stuttgart sieht in allen Gemeinden einen Flächenzuwachs vor, allerdings sollen neue Wohnungen bevorzugt in Städten und Gemeinden entlang der S-Bahn-Linien beziehungsweise in den 41 regionalen Wohnungsbauschwerpunkten entstehen. Insgesamt liege in der Region ein Potenzial für 30 000 Einwohner brach, ist Chefplaner Thomas Kiwitt überzeugt.
In Filderstadt (Kreis Esslingen) wurden die Flächen entlang der S-Bahn-Linie als Entwicklungsachse sowohl für Gewerbe als auch für den sozialen Wohnungsbau erkannt. Jetzt gelte es, „ein Gesamtleitbild zu entwickeln“, sagt OB Christoph Traub (CDU). Die Aussage von OB Kuhn sieht er nicht als Vorwurf. „Die Stadt Filderstadt hat ihre Defizite im sozialen Wohnungsbau bereits vor der Pressemitteilung von Herrn Kuhn für sich erkannt und wird sich dieser annehmen.“
Zuzug von Flüchtlingen verstärkt den Trend
Wachstum Bis 2030 soll die Bevölkerung in der Region Stuttgart ausgehend vom Jahr 2012 um zuletzt mit der Bevölkerungsentwicklung nicht Schritt gehalten. So hat die Bevölkerungszahl von 94 000 Einwohner auf 2,741 Millionen wachsen. Die Entwicklung des Wohnungsmarktes hat 2011 bis 2014 um drei Prozent zugelegt, der Wohnungsbestand aber nur um 1,7 Prozent.
Zuwanderung Aufgrund der guten wirtschaftlichen Lage kamen in den vergangenen fünf Jahren Region einen Zuwachs von 47 000 ausländischen Zuwanderern im Zeitraum von 2011 bis 2013. höchsten: Die Einwohnerzahl soll um 47 000 zulegen, der Wohnraum reicht aber nur für ein deutlich mehr Zuwanderer, zu 79 Prozent aus dem Ausland. Unterm Strich verzeichnete die Der aktuelle Zuzug vieler Flüchtlinge verstärkt diesen Trend. In Stuttgart ist der Druck am Einwohnerplus von rund 35 000. uro