SWP Uwe Roth 07.07.2017
Knapper Wohnraum geht in der Region mit einer steigenden Zahl von Eigenbedarfskündigungen einher. So mancher vermutet dahinter Kalkül der Vermieter. Ein neues Urteil soll der Praxis Grenzen setzen.
Derartige Kündigungsschreiben kommen meistens aus heiterem Himmel: „Hiermit wird die Wohnung wegen Eigenbedarf gekündigt.“ Je nach Dauer des Mietverhältnisses beträgt die Kündigungsfrist nach den gesetzlichen Vorgaben zwischen drei und neun Monaten. Das ist nicht viel Zeit, um auf einem leergefegten Immobilienmarkt, wie das in der Region Stuttgart der Fall ist, eine neue und vor allem bezahlbare Bleibe zu finden.
Der Eigenbedarf scheint bei Vermietern als Kündigungsgrund immer beliebter zu werden. Laut der Geschäftsführerin des Mietervereins Stuttgart, Angelika Brautmeier, dreht sich mittlerweile jede siebte Beratung um die Frage, ob die vom Vermieter angeführten Eigenbedarfsgründe den Bestimmungen im Bundesgesetzbuch (BGB) entsprechen (siehe Info) oder er lediglich einen Vorwand sucht, trickreich günstig wohnende Altmieter durch besser zahlende Neumieter zu ersetzen.
Kündigung Eigenbedarf: Megaanstieg bei den Beratungen
„Der Kampf wird härter“, stellt Brautmeier fest. Der gekündigte Mieter habe früher schneller Ersatzwohnraum gefunden oder konnte sich vor Gericht schneller vergleichen. „Nach unserer Einschätzung wird nun häufiger geklagt, da Ersatzwohnraum zum Kündigungstermin nicht zur Verfügung steht, und die Einigungsbereitschaft sinkt damit zwangsläufig.“
Im Landkreis Ludwigsburg scheint die Lage noch angespannter zu sein: „Ein Megaanstieg“ um fast hundert Prozent bei den Beratungen zu Eigenbedarfskündigungen, stellt eine Mitarbeiterin der Geschäftsstelle des Mieterbunds in Ludwigsburg fest. 2015 hatten sich 92 Ratsuchende mit einem solchen Kündigungsschreiben an den Verein gewandt, im vergangenen Jahr waren es dagegen knapp 170 Ratsuchende.
BGH-Urteil erschwert Kündigung Eigenbedarf
Roswitha Stahl, Vorständin des Mietervereins Waiblingen und Rechtsanwältin, führt zwar keine Statistik, berichtet aber ebenfalls von „einer ziemlich gestiegenen Zahl“ diesbezüglicher Anfragen.
Nach einem neuen Urteil des Bundesgerichtshofs (BGH) in Karlsruhe sollen solche Täuschungsmanöver Immobilienbesitzern künftig erschwert werden. Stellt sich beispielsweise heraus, dass die als Kündigungsgrund genannte wohnungssuchende Tochter am Ende gar nicht einzieht, kann der Vermieter auf Schadenersatz verklagt werden. Steht die Wohnung Monate nach dem Auszug immer noch leer, muss der Vermieter detailliert begründen, warum der Eigenbedarf später nicht umgesetzt wurde. Der Bundesgerichtshof stellte damit beim Eigenbedarf einen strengen Maßstab für Vermieter auf.
In einem weiteren Urteil haben die Bundesrichter entschieden, dass ein Vermieter gut begründen muss, für welchen Zweck er die bislang fremdvermietete Wohnung selbst nutzen möchte. Im verhandelten Verfahren hatte die Vermieterin dem Mieter einer kleinen Wohnung in Berlin gekündigt. Begründung: Ihr Ehemann habe im gleichen Haus eine Beratungsfirma und benötige die Wohnung, um Akten auszulagern. Das reicht nach Ansicht des BGH aber nicht aus, um die Kündigung zu rechtfertigen.
Floskel „berechtigtes Interesse“ hebelt Kündigungsschutz auf
Noch im Jahr 2012 hatte der Bundesgerichtshof entschieden, der Vermieter dürfe eine Mietwohnung kündigen, wenn er oder ein Familienangehöriger die Wohnung zu beruflichen Zwecken nutzen wolle. Damals hieß es, der Vermieter könne sich auf die Generalklausel des Gesetzes berufen, wonach es ausreiche, wenn er ein berechtigtes Interesse an der Beendigung des Mietverhältnisses habe. „Der gesetzlich nicht näher definierte, unscharfe Begriff des berechtigten Interesses musste immer öfter für eine Kündigungsbegründung herhalten, wenn zum Beispiel die Voraussetzungen für eine Eigenbedarfskündigung nicht vorlagen“, stellt der Mieterbund fest. Der Bundesgerichtshof habe diese Entwicklung nun aber gestoppt.
Beim Verband der Haus-, Wohnungs- und Grundeigentümer in der Region Ludwigsburg unterstreicht man hingegen „die große Bedeutung der Eigenbedarfskündigung für einen funktionierenden Wohnungsmarkt“. Wohnungen würden von Privaten auch mit der Perspektive gekauft, sie irgendwann einmal selbst nutzen zu können. „Gäbe es das Instrument der Eigenbedarfskündigung nicht oder könnte es nicht durchgesetzt werden, würden viele Wohnungen nicht auf dem Mietwohnungsmarkt angeboten – denn sie würden weder gekauft noch gebaut“, heißt es in einer Mitteilung von Haus & Grund Württemberg.
Siehe auch:
http://journalistroth.eu/mietspiegel-stuttgart-mieten-ziehen-um-sechs-prozent-an/
http://journalistroth.eu/mietspiegel-ludwigsburg/
http://journalistroth.eu/nahverkehr-wohnen-im-stuttgarter-speckguertel-wird-teurer/
http://journalistroth.eu/rosensteinquartier-stuttgart-aus-fehlern-lernen/