ZVW Uwe Roth 13.03.2018
Weinstadt. Die Jazzbassistin Kinga Glyk hat zum Abschluss der 21. Weinstadt Jazztage ihr Publikum in der Jahnhalle begeistert. Mit gerade 21 zählt die Polin zu den Großen auf der Bühne. Bekannt aber wurde sie über die sozialen Medien. Ihr Vater Irek gestaltete am Sonntagabend am Schlagzeug seinen eigenen Auftritt.
Kinga Glyk wird als Jazz-Sensation gefeiert. Das ist in ihrem zweistündigen Konzert nachvollziehbar. Geschmeidig gleiten die Finger über den Basshals. Ihre Augen hat sie oft geschlossen. Funk löst Jazz ab – und umgekehrt. Seit sie zwölf ist, steht sie auf der Bühne. Ende Januar ist Glyk 21 Jahre alt geworden. Da hat sich bereits einige Routine angesammelt. Drei Platten sind bereits produziert.
Pianist füllt Klanglücken
Dennoch scheint die talentierte Bassistin auf der Bühne der komplett gefüllten Jahn-Halle in Endersbach manchmal zu fremdeln. Dort steht sie mit ihrem Instrument zwar im Mittelpunkt des Trios. Aber sie hat links und rechts neben sich mächtige musikalische Gegner: Jazzpianist Rafal Stepien, der seinen Flügel um vier elektronische Keyboards erweitert hat. Er ist neben dem Klavierspiel dafür zuständig, mit Sounds Klanglücken zu füllen, die ein Bass und ein Schlagzeug entstehen lassen, weil beide für den Groove, für den Rhythmus zuständig sind und eben nicht für den Lead, die Melodie. Bass und Schlagzeug allein wären auf Dauer dann doch etwas langweilig.
Stepien setzt jedoch die elektronischen Klangeffekte sparsam ein. Spielt er nicht am Flügel, versetzt er eines seiner Keyboards meistens in den Zustand einer Hammond-Orgel. Ansonsten erinnert er manchmal an den US-Pianisten Keith Jarrett der 1970er Jahre, der sich mit seinen melodischen Klangteppichen hervortat. Stepien liefert beste Qualität, bleibt aber während des Konzerts musikalisch weitgehend Begleiter der Frontfrau.
Am Schlagzeug macht der Vater dominant Dampf
Das allerdings trifft auf ihren Vater Irek nicht zu, den Chef des Familienunternehmens. Neben Sohn Patryk ist auch die Ehefrau mit auf Deutschlandtournee. Der in Polen sehr bekannte Jazzmusiker spielt das Schlagzeug mit fünf Kesseln und vier Becken meistens sehr dominant. Das gipfelt in einem zehnminütigen (gefühlt längeren) Solo, in dem er virtuos alles gibt und sich mit eigenen Zwischenrufen selbst befeuert. Dabei scheint er sich für sämtliche musikalischen Stilrichtungen qualifizieren zu wollen – bis hin zur Blue Man Group.
Tochter Kinga schaut ihrem Vater geduldig zu, bis sie ihn auf sein Zeichen hin mit sanften Bassklängen beruhigen darf. Ein Bass lässt sich nicht unterkriegen. Das verhindert schon ihr Bruder, der an diesem Abend den Sound regelt. Aber manchmal wummert der Bass doch sehr im Hintergrund. Zumindest im ersten Teil des Konzerts. Im zweiten Teil verteidigt sie ihre Nummer-eins-Position besser.
Glyks Durchbruch „Tears in Heaven“
Kinga Glyk wird als selbstbewusst beschrieben. Das mag stimmen, während sie die vier Stahlsaiten zupft. Bei ihren (englischen) Ansagen wirkt sie dagegen etwas unsicher. Vielleicht hätte sie die Unterstützung ihres Vaters am Mikrofon gebraucht. Der aber schweigt und lässt allein seine Schlagstöcke für sich sprechen.
Dann nimmt die Bassistin ihre liebste Haltung ein, setzt sich auf den Bühnenboden, die Beine zum Schneidersitz überkreuzt, ihren Hut, ihr Markenzeichen, leicht ins Gesicht geschoben. So ist sie über ein Video auf Youtube weltweit bekanntgeworden. Kinga Glyk kauert auf dem Boden und interpretiert mit ihrem Bass „Tears in Heaven“ von Eric Clapton. Es war vor knapp zwei Jahren ihr Durchbruch. Über 950 000-mal ist ihre Version des Welthits aufgerufen worden.
Sie spielt dieses Lied zum Ende des offiziellen Teils des Konzertabends. Das überwiegend ältere Publikum darf sie gesanglich dabei unterstützen. Und macht das ganz gut. Es darf die Erkenntnis mit nach Hause nehmen, dass der Jazz nicht aussterben wird und mit Musikerinnen wie Kinga Glyk weiblicher geworden ist.