Uwe Roth, Staatsanzeiger Januar 2013
In dieser Woche hat Fritz Kuhn sein Amt als Oberbürgermeister der Landeshauptstadt Stuttgart angetreten. Der 57-Jährige betont im Gespräch, klare Vorstellungen von den anstehenden Aufgaben zu haben.
Staatsanzeiger: Herr Kuhn, seit Tagen können Sie in den Zeitungen lesen, was der neue Oberbürgermeister als Allererstes in Angriff nehmen sollte. Stresst Sie der Erwartungsdruck?
Fritz Kuhn: Manchmal muss ich schmunzeln. Ich habe in meinem achtmonatigen Wahlkampf meine Schwerpunkte genannt. Daran hat sich nichts geändert. Jetzt wird natürlich nachgeladen und auf alle möglichen Schwierigkeiten verwiesen. Dabei ist es völlig klar, was ich machen werde. Ich werde sofort und konzentriert die wichtigsten Themen behandeln, wie den Ausbau der Kita-Betreuungsplätze für unter Dreijährige, den Feinstaub und Verkehr insgesamt in Stuttgart. Weiteres Thema ist das Schaffen von Wohnraum für sozial Schwächere und Familien mit Kindern sowie Stuttgart 21. Die Richtung dazu habe ich formuliert, und jetzt geht’s ans Schaffen.
Während eines Wahlkampfs macht man Maximalankündigungen. Wie wollen Sie im praktischen Einsatz herausfinden, wo die Grenzen zum Machbaren liegen, ohne Wähler zu enttäuschen?
Ich habe mir im Wahlkampf sehr gut überlegt, was ich zu einem Thema sage, weil ich mir der „Versprechens-Enttäuschungs-Spirale“ immer bewusst war. Ich habe ganz wenig versprochen. Ich habe einen Korb mit Versprechungen und einen mit „in die Richtung will ich gehen“. Das hat mir Glaubwürdigkeit verschafft, weil die Wählerinnen und Wähler wahrgenommen haben: Der geht vorsichtig mit dem Thema um. Beim Feinstaub habe ich gesagt, den müssen wir bekämpfen, das EU-Recht ist dazu eindeutig, wir zahlen Strafe,
und es handelt sich um gesundheitsgefährdende Stoffe. Also müssen wir etwas tun, und ich habe gleich gesagt, da hilft nur ein ganzes Bündel von Maßnahmen. Ich werde Vorschläge machen, und wenn einer einen Vorschlag ablehnt, dann soll dieser einen anderen machen. Eine meiner Maximen ist: Geht nicht, gibt’s nicht. Wir können immer in einen Wettbewerb um Alternativen eintreten. Aber dass man systematisch alle Vorschläge niedermacht und selbst keinen anbietet, das geht bei einem Thema wie Feinstaub nicht.
Als OB müssen Sie bei Stuttgart 21 manchmal andere Standpunkte vertreten als Ihre Partei. Wie verhindern Sie Zerreißproben?
Die Gesetzeslage ist klar, die Bahn hat das Baurecht, das habe ich im Wahlkampf auch ganz deutlich gemacht. Es gibt allerdings mit dem 12.12.2012 eine schwierige neue Situation: An diesem Tag hat sich die Bahn offenbart, dass das Projekt 2,3 Milliarden Euro mehr kosten wird. Das führt natürlich schon zu einer Vertrauenskrise. Also muss sich die Stadt fragen, ob sie es der Bahn noch zutrauen kann, das Projekt sowohl technisch als auch finanziell zu bewältigen. Einen solchen Prüfprozess werde ich einleiten. Ich betone, nicht nur der Gegner, auch der Stuttgart-21-Befürworter muss überzeugt werden können, dass es die Bahn überhaupt kann. Ich möchte in acht Jahren auf keinen Fall dastehen wie heute Wowereit mit seinem Berliner Flughafen.
Um bezahlbaren Wohnraum zu erhalten, hat man in Berliner Bezirken Bauvorschriften verändert, um reine Luxussanierungen zu verhindern. Ginge so etwas auch in Stuttgart?
Ich habe im Wahlkampf klar gesagt, Stuttgart braucht mehr bezahlbare Wohnungen. Es ist eine ganz komplizierte Aufgabe, diesen Anspruch umzusetzen. Wir haben genug Einkaufszentren gebaut, jetzt brauchen wir Wohnungen.
Luxussanierungen verhindern, dass wäre doch eine radikale Lösung.
Ich werde mit den Fachleuten nach der schon genannten Maxime prüfen, was es für Abhilfemöglichkeiten gibt. Wir werden sicher stärker in den sozialen Wohnungsbau einsteigen müssen. Denn wir verlieren jährlich mehr Wohnungen aus dem Bestand als wir neue dazubauen. Das heißt, die Menge der bezahlbaren Wohnungen in Stuttgart sinkt. Das können wir nicht akzeptieren. Ich will nicht der OB einer Stadt sein, in der sich nur noch die Reichen leisten können, in der Mitte zu wohnen.
Sie sind Chef eines riesigen Verwaltungsapparats mit knapp 20 000 Mitarbeitern. Er muss Ihnen doch wie ein Berg erscheinen, bei dem man nicht gleich weiß, an welcher Stelle man ihn erklimmen soll.
Ich bin Allgäuer und als solcher weiß man, wie man einen Berg erklimmt. Ich habe Zeit gehabt, mich mit der Verwaltung auseinanderzusetzen, und habe schon bestimmte Vorstellungen. Ansonsten komme ich nicht wie das „G’scheidle“ daher, sondern werde fragen, wenn ich etwas nicht verstehe. Ich kann gut Strukturen erkennen und entdecken, wo Strukturen nicht effizient sind.
Vertraute Ihres Vorgängers werden weiter in Führungspositionen sein. Wie sichert man sich deren Loyalität?
Ich gehe davon aus, dass ein guter Stuttgarter Kommunalbeamter loyal zu seinem Arbeitgeber ist und professionell arbeitet. Ich bin im Rathaus sehr herzlich aufgenommen worden. Nicht so nach dem Gefühl: Jetzt kommt da so ein kleines grünes Männchen, dem man mal zeigen muss, wo der schwarze Hammer hängt. Die Leute freuen sich auf mich. Ich gehe davon aus, dass die Mitarbeiter auf die Qualität der Arbeit schauen und nicht auf das Parteibuch. In der Verwaltung gibt es viele gute Mitarbeiter. Da muss man nicht welche entlassen, um sie durch Parteimitglieder zu ersetzen. Ich habe jetzt erstmal nur zwei Leute aus meinem bisherigen Arbeitsumfeld mitgebracht. Augenmaß ist die Parole.
Die Stuttgarter Straßenbahnen loben ihren Ex-Aufsichtsratsvorsitzenden in einer großen Anzeige überschwänglich. Fühlt man sich da als Neuer von der SSB willkommen?
Ich wäre ein ziemlicher Anfänger, wenn ich mich darüber auslassen würde. Wolfgang Schuster hat die Stadt 16 Jahre geleitet. Jetzt hat er einen ordentlichen Abschied bekommen, wie es sich gehört.
Herr Schuster hat ein Buch zur Nachhaltigkeit geschrieben. Wo sehen Sie in der Stadt Ansätze zur Nachhaltigkeit, die Sie ausbauen können?
Es gibt in der Stadt seit vielen Jahren Bemühungen, in der nachhaltigen Politik voranzukommen. Das heißt, wirtschaftlich und ökologisch erfolgreich zu sein sowie sozial gerecht. Aber ich finde schon, dass ein bisschen zu viel an allgemeinen Zielen herumformuliert wird. Die Zahlen geben das nicht immer her: Beim Klimaschutz haben wir nicht das erreicht, was sich die Stadt vorgenommen hat. Auch bei den erneuerbaren Energien muss Stuttgart noch deutlich mehr tun. Wir müssen jetzt raus aus der Ära der Leuchtturmprojekte. Beispielsweise: Ich mache ein schönes Energieplus-Haus und lass’ mich damit fotografieren. Wir müssen hinkommen zu einer Veränderung in den Strukturen. Energieeffizienz muss ein Thema sein für jedes Haus in der Stadt, ansonsten schaffen wir die Energiewende nicht. Diesen Wechsel will ich organisieren.
Der Innenstadtverkehr wird auf dem Weg dorthin ein Hindernis sein.
Deswegen habe ich als Ziel genannt, in den Stuttgarter Kessel sollten täglich 20 Prozent weniger Autos einfahren. Wir hätten entsprechend weniger Feinstaub und Stau-Stress. Das ist ein hoch ambitioniertes Ziel und nicht von Donnerstag auf Freitag zu realisieren. Aber solche Ziele müssen wir uns konkret setzen. Aufforderungen, vom Auto auf die Stadtbahn umzusteigen, reichen heute nicht mehr. Wir müssen weg von einer Verkündigungskultur, eben nicht nur Sonntagsreden halten, sondern diese auch montags umsetzen.
Das Gespräch führte Uwe Roth