SWP, Uwe Roth, 26.04.2019
Im Lokal von Frank Seidel können sich Gäste neben Croûtons auch Mehlwürmer auf den Salat streuen.
Gastronom Frank Seidel kennt den Gesichtsausdruck seines Gastes nur zu gut. Auf der Gabel hat die junge Frau eine Locusta migratoria, garniert mit einem in Dressing getunktes Salatblatt. Augen und Mund zeigen eine Mischung aus Entschlossenheit, Neugier und etwas Ekel. Um Letzteres zu verstehen, muss man wissen, dass Locusta migratoria eine Europäischer Wanderheuschrecke ist, die dort zur Verkostung bereitliegt. Dschungelprüfung in der Salatbar in der Ludwigsburger Fußgängerzone. Die Gabel nähert sich dem Mund. Salatblatt und Insekt kommen zwischen die Zähne. Es folgen zögerliche Kaubewegung. Wie hat’s geschmeckt? „Ganz okay. Leicht nussig und mit deutlichem Röst-
aroma.“ Erleichterung.
Seit nunmehr vier Jahren haben Gäste des Lokals, das sich neben frischen Salaten auf kleine Speisen spezialisiert hat, die Wahl zwischen klassischen Garnituren (Toppings) wie Putenstreifen oder Croûtons und eben Insekten. Vier Sorten sind in Seidels Angebot: Heuschrecken, Grillen, Buffalowürmer und Mehlwürmer. Der Insektenlieferant der Ludwigsburger Salatbar sitzt in Witzeeze in Schleswig-Holstein. Die Speisekarte ist von der Europäischen Union zusammengestellt. „Nach der Novel-Food-Verordnung sind nur diese vier komplett verarbeitet zum Verzehr zugelassen“, erläutert der Wirt. „Uns reicht das Angebot. Wir wollen kein Insektenlokal werden.“
Fünf Gramm kosten jeweils 2,50 Euro. Bei den Heuschrecken geht es nicht nach Gewicht. Sie werden abgezählt. Für das Geld kommen sechs Exemplare auf den Salat. „Die sind vom Hersteller nicht billig zu bekommen. Ein Kilo Heuschrecken kostet 300 Euro“, sagt Seidel. „Die Heuschrecken sind speziell als Nahrungsmittel für Menschen gezüchtet.“
Im Gegensatz zur Dschungelprüfung im Fernsehen sind die Tiere in der Salatbar tot. „Bevor die Insekten in die Auslage kommen, werden sie ein bis zwei Minuten in einer Pfanne ohne Öl oder Fett angebraten. Das ergibt das Röstaroma.“ Pur schmecken sie allerdings nicht. „Sie sind pfurztrocken, passen aber sehr gut zu Salat.“ Die Insekten-Toppings haben ihre Fangemeinde gefunden. Das Lokal serviert im Monat etwa 1,5 Kilogramm. Was angesichts des geringen Gewichts eines getrockneten Wurms nicht wenig ist.
Für Seidel sind die essbaren Insekten nicht allein ein Marketinggag. Er sieht im Verzehr außer einer Geschmacksvariante viele Vorteile: Insekten sind fettfrei und haben viel Eiweiß (Proteine). Aber auch in der Aufzucht läuft es nach seiner Überzeugung um vieles besser als bei der von Schweinen und Rindern. „Insekten brauchen wenig Futter und kaum Wasser“, weiß er. Im Gegensatz zu den Rindern „pfurzen Heuschrecken und Würmer nicht“. Es wird also kein klimaschädliches Methan freigesetzt.
Er glaubt allerdings nicht, dass Insekten in der Ernährung Fleisch ersetzen könnte. „Ich würde nie anstatt eines 200 Gramm Steaks zwei Handvoll Insekten essen“, sagt er. Um seinen Fleischkonsum zu senken, seien Insekten für Zwischendurch eine Alternative. „95 Prozent der Zögerer vor der Insektenauslage kann ich umstimmen.“ Uwe Roth