Südwest Presse, Autor: UWE ROTH, 07.06.2016
LUDWIGSBURG: Archäologen suchen ab dieser Woche in Ludwigsburg in keltischen
Hinterlassenschaften nach Spuren der Römer. Einzig die Stadt ist nicht begeistert.
Eigentlich reicht der Stadt ihr Ruf, im Kern durch und durch barock zu sein. An diesem Image arbeitet Ludwigsburg seit Jahren mit großem Aufwand und Erfolg. Nun aber verdichten sich archäologische Hinweise, dass einige reiche Kelten am südlichen Rand der Gemarkung nicht weniger fürstlich lebten und starben als der absolutistische Stadtgründer und seine Nachfolger in ihren barocken Prachtbauten am nördlichen Stadtrand.
Den Namen Römerhügel kennt man in der Stadt als Standort des alten Wasserturms und des großen Berufsschulzentrums. Vor Ort weist allerdings nichts auf Hinterlassenschaften der Römer hin. Wer genau hinschaut, entdeckt einen unauffälligen Gedenkstein. Dieser erinnert jedoch nicht an römisches Leben vor fast 2000 Jahren, sondern er markiert ein noch mal 500 Jahre älteres Fürstengrab an dieser Stelle. Das war es aber auch schon mit Hinweisen auf eine historische Stätte.
Das könnte sich ändern. Die Stadt beabsichtigt, in der Nachbarschaft des Wasserturms Schrebergärten anlegen und mehrere Wohngebäude errichten zu lassen. Das wiederum hat die Archäologen vom Landesamt für Denkmalschutz in Esslingen auf den Plan gerufen. Im Frühjahr kamen sie, gruben und wurden auf dem 1,5 Hektar großen Gelände in 30 Zentimetern Tiefe prompt fündig.
Gefunden wurde eine sogenannte Viereckschanze, wie der für Ludwigsburg zuständige Ausgrabungsleiter Christian Bollacher berichtet. Diese war mit einem Wall- und Grabensystem befestigt, das eine Seitenlänge von immerhin 100 Metern hat und nach der Freilegung noch gut zu erkennen ist. Das allein ist für den Wissenschaftler eine kleine Sensation. Denn der Fund ist ihm ein Hinweis, dass den Kelten dieser Standort kaum weniger wichtig war als der fünf Kilometer entfernte 90 Meter hohe Hohenasperg, den bedeutende Zeitgenossen besiedelt hatten. Damit könnte Ludwigsburg in der Rangfolge wichtiger Keltensiedlungen aufsteigen.
Fast noch interessanter sind für Bollacher kleine Funde aus römischer Zeit. Die Ausgräber entdeckten auf der Anlage eine Münze und Keramikstücke. Der Archäologe vermutet, dass Römer, die etwa 150 Jahre nach den Kelten kamen, die Reste der Anlage selbst nutzten. Wie genau die Nachnutzung ausgesehen haben könnte, ist für ihn „eine spannende Frage“, auf die die Denkmalschützer hoffen, im nächsten halben Jahr eine Antwort zu finden. In dieser Woche wird die weitere Ausgrabung dazu vorbereitet. Zeitweise werden bis zu sieben Mitarbeiter des Landesdenkmalamts damit beschäftigt sein.
Die Chancen sind allerdings gering, dass der Römerhügel zu einer dauerhaften Attraktion wird. Mit dem Bau des Wasserturms sind bereits vor über 100 Jahren Siedlungsreste für immer zerstört worden. Dieses Mal handelt es sich um eine sogenannte Rettungsgrabung. Das heißt, sämtliche Funde werden dokumentiert, sichergestellt und später eventuell in einem Museum gezeigt. Das Gelände selbst wird wieder freigegeben, und die
Schrebergärtner können nach einiger Verzögerung ihre Gartenhäuser bauen. Sofern im Boden nicht noch eine echte Grabungssensation zum Vorschein kommt.
Die Stadt Ludwigsburg würde gern Gras über die Grabungsstätte wachsen lassen. Denn sie benötigt das Gelände dringend. In der Verwaltung ist man zudem wenig begeistert von der Rechnung, die das Landesdenkmalamt der Stadt als Eigentümerin des Grundstücks am Ende für die Grabungsarbeiten präsentieren wird. Geschätzt werden Kosten von 200 000 Euro. Ohne Kostenübernahme gibt es keine Freigabe des Geländes. Seitens der Barockstadt Ludwigsburg besteht also wenig Interesse, zur ehemaligen
Keltenhochburg zu werden.
Dabei boomt das Thema seit einigen Jahren. Ausstellungen und Beiträge in den Medien über dieses immer noch wenig bekannte Volk wechseln sich ab. Eine Frauenzeitschrift hat in ihrer Aprilausgabe eine Liste keltischer Mädchen- und Jungennamen zusammengestellt, um Eltern die Namenswahl zu erleichtern.
Baden-Württemberg ist Teil des ehemaligen keltischen Kernlandes. Seit vor vier Jahren im Land das Keltenjahr stattfand, ziehen Fundstücke aus dieser Epoche Besucher magisch an. Seit 21. Mai sind im Landesmuseum Stuttgart (Altes Schloss) neue Exponate aus frühkeltischen Fürstengräbern zu sehen. Titel: „Wahre Schätze. Antike, Kelten, Kunstkammer“.
Ständig kommen auch aus der Region Stuttgart neue Funde hinzu: Vor einem Jahr fanden die Landesarchäologen in Kirchheim/Teck (Kreis Esslingen) ein frühkeltisches Frauengrab aus der Zeit 500 vor Christus. Ein sehr seltener Fund. Die Ausgrabung ist abgeschlossen. Die Stadt versucht nun, die Funde für ein eigenes Museum zu sichern.
Infokasten
Mehrere Museen in Baden-Württemberg
Kelten Die Bewohner der Landschaften nördlich der Alpen wurden von den antiken griechischen Autoren als Keltoi oder Celtae, von den Römern als Galli bezeichnet. Die keltische Kultur hat sich während der frühen Eisenzeit (8. bis 6. Jh. v. Chr.) in Mitteleuropa entwickelt.
Siedlungsformen Typische Siedlungsformen der jüngeren Eisenzeit sind die oppida, also
stadtartige befestigte Großsiedlungen, und die Viereckschanzen, befestigte ländliche Gehöfte.
Museen Keltenmuseen gibt es in Baden-Württemberg neben Stuttgart unter anderem in
Eberdingen (Landkreis Ludwigsburg), Nagold (Landkreis Calw), Villingen-Schwenningen und Herbertingen (Landkreis Sigmaringen). Die dortige Heuneburg ist eine der wichtigsten keltischen Ausgrabungsstätten. uro