Gegner des Tiefbahnhofs Stuttgart 21 kämpfen weiter

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SWP UWE ROTH |

Lauter Protest lohnt sich auch nach fast zehn Jahren noch. Das war die zentrale Botschaft der Gegen-Stuttgart-21-Demo am Samstag auf dem Schlossplatz.

Zur Kundgebung und Demonstration waren nach Angaben der Veranstalter etwa 4000 Menschen aus der ganzen Region gekommen. So viele waren es auch im September 2007 bei der ersten größeren Demo gegen den geplanten Tiefbahnhof. Eigentlich hatte man am Samstag bis zu 7000 Besucher erwartet. Die bislang höchste Teilnehmerzahl registrierten die Organisatoren im Oktober 2010 mit etwa 150 000 Personen, die Polizei sprach damals von 63 000. Die erste Montagsdemo fand im Oktober 2009 statt, am 8. August wird es die 333. sein.

Knapp zehn Jahre öffentlicher Protest – und die Baugrube neben dem Bahnhofsgebäude wird ständig größer, die in den Hang des Stuttgarter Kessels getriebenen Tunnelbauten immer länger. Von der Deutschen Bahn gibt es kein Signal, trotz laufender Kostensteigerungen, ausstehender Baugenehmigungen und Zeitverzögerungen das umstrittene Projekt überdenken zu wollen. Auch von jüngsten Berichten, der Bundesrechnungshof prognostiziere einen Kostensprung von sechs auf zehn Milliarden Euro, zeigt sich der Bahnvorstand unbeeindruckt.

Doch gerade in der Kalkulation der obersten Rechnungsprüfer sehen die Redner bei der Kundgebung den größten Sprengstoff, der den Weiterbau endgültig stoppen könnte. Winfried Wolf ist mittlerweile international gegen „unnütze Großprojekte in Europa“ unterwegs und übermittelte in seiner Rede Grüße Gleichgesinnter aus Florenz und Turin, wo ähnliche Projekte seiner Meinung nach vor dem Aus stehen.

Wolf sieht Stuttgart 21 wegen des Rechnungshofberichts mittlerweile „in der fünften Krise“, die er mit der Hoffnung auf den endgültigen Fall verbindet. Er glaubt an die „Sickerwirkung der Wahrheit“, an der die Projektverantwortlichen nicht vorbeikämen. Letztlich werde ihre „Angst, für den Schaden persönlich belangt werden zu können“, dafür sorgen, dass sie die Reißleine ziehen. Aus internen Quellen bei der Bahn wisse er: „Es wird noch einen Knall geben.“ Der Abgang von Bahnvorstand Volker Kefer im Juni verbuchen die Redner als Erfolg ihres dauerhaften Protests. Einerseits schätzten die führenden Kräfte der S21-Gegner den Sachverstand des obersten Bahnprojektleiters – andererseits trieb sie seine Art, Kritik einfach wegzulächeln, manchmal zur Weißglut. Wolf sprach vom „Lächelmonster“.

Hannes Rockenbauch nannte es „Kefers Teflongrinsen“. In seiner Ansprache sah der Stadtrat die Gegenbewegung nicht allein wegen des Rücktritts und des Rechnungshofberichts im Aufwind. In der vergangenen Woche hatten die Parkschützer Alternativpläne zum unterirdischen Haltepunkt präsentiert. Nach diesen könne die Baugrube anderweitig genutzt und müsse nicht zugeschüttet werden. Auf der Fläche des Logistikzentrums am Nordbahnhof könne umgehend mit dem Bau von Wohnungen begonnen werden. Mit Genugtuung habe er festgestellt, „die Alternativen werden ernsthaft zur Kenntnis genommen“, so Rockenbauch. Im Übrigen zeigte er sich überzeugt, dass heute „echte S21-Gegner“ im Landtag säßen, wären die Zahlen des Rechnungshofes noch vor der Landtagswahl bekanntgegeben worden.

Ob der Dauerprotest nach sieben Jahren noch sinnvoll sei, mit dieser Frage beschäftigte sich der Journalist Joe Bauer. „Das bringt doch eh nichts“ – dieser oft gehörte Einwand sei der Satz der „Sofa-Sitzer“. Diese trügen mit ihrem Nichtstun dazu bei, „demokratische Grundrechte aufzugeben.“ Bauer nannte Ministerpräsidenten Winfried Kretschmann (Grüne) für seine Version der Abwiegelung – „dr Käs isch gässa“ – einen Dorftheater-Intendanten, der mit seinem „folkloristischen Ton“ die Protestbewegung nicht erreiche. Würden nicht „weiterhin erstklassige Ingenieure, Architekten und Juristen in den Reihen des Protests die Machenschaften der Stuttgart-21-Betreiber aufdecken“, dann kämen „die ganzen Schweinereien und Auswüchse dieses Zehntausend-Millionen-Wahnsinns erst gar nicht ans Licht“, so der Journalist.

Derweil erklärte gestern die DB Projekt Stuttgart-Ulm GmbH: „Stuttgart 21 ist weit fortgeschritten und wird so zu Ende gebaut, wie es der Finanzierungsvertrag aus dem Jahr 2009 vorsieht.“ Umstiegsszenarien entbehrten jeder Grundlage.

Bundesweiter Rekordhalter

Mahnwache Die Mahnwache gegen Stuttgart 21 feierte gestern ihren 6. Geburtstag. Seit Gründung ist sie rund um die Uhr von zwei bis drei Personen besetzt – auch an Ostern, Weihnachten und Neujahr.

Ehrenamtliche Das Team besteht aus über 200 Ehrenamtlichen. In den sechs Jahren haben sie am Mahnwache-Stand gegenüber dem Hauptbahnhof über 130 000 Stunden ehrenamtliche  Arbeit geleistet.

Versammlungsrecht Sie ist die am längsten dauerhaft besetzte Mahnwache in der deutschen Geschichte. Als angemeldete politische Versammlung steht sie unter dem Schutz des Versammlungsrechts. uro