ZVW Uwe Roth 16.04.2015
Waiblingen. Am Wochenende werden eine Menge Radfahrer zu den Ausflugszielen im Kreis unterwegs sein. Die Gastronomie freut das. Sich rollend durch die Freizeit zu bewegen, ist mittlerweile so populär geworden, dass es auf beliebten Wanderwegen zu chaotischen Verhältnissen kommen kann.
Der Mühlentag ist so ein jährliches Ereignis, bei dem der Welzheimer Wald an manchen Abschnitten förmlich überrollt wird. Genervte Wanderer werden an die Wegränder verdrängt. Fahrradgruppen und Einzelfahrer schlängeln sich mit unterschiedlichen Geschwindigkeiten am jeweils langsameren Ausflügler vorbei. Auf asphaltierten Routen kommen Inlineskater noch dazu. Und nicht zu vergessen sind die Langstreckenläufer, die locker auf eine Durchschnittsgeschwindigkeit von zehn Stundenkilometer kommen, wenn sie nicht von Hunden gestoppt werden, die an der langen Leine ihres Besitzers hängen.
Kein weißer Strich trennt langsame Fußgänger und schnelle Radler, wie das bei kombinierten Fußgänger- und Radwegen in der Stadt der Fall ist. Die Ausflugswege sind für alle gleichermaßen da.
Es herrscht das Gesetz des Stärkeren: Wer nicht schnell genug aus dem Weg ist, der wird rigoros weggeklingelt. Im Straßenverkehr hat eine Fahrradklingel kaum eine Chance aufs Gehörtwerden, in der Natur dagegen klingt sie schrill und aggressiv. Die Konzentration der Erholungssuchenden gehört nicht der Landschaft, sondern dem nächsten Hindernis, dem ausgewichen werden muss.
Wanderer werden als Hindernis empfunden
Früher gehörten die Ausflugswege den Wanderern. Nur hin und wieder überholte ein Radler oder eine kleine Radlergruppe. Man störte sich gegenseitig nicht, grüßte freundlich, dann war wieder Ruhe. Die man ja suchte. Heute werden Wanderer von Radfahrern als Hindernis wahrgenommen. Dabei ist Radfahrer nicht gleich Radfahrer. Das liegt nicht allein an der unterschiedlichen Fitness, sondern an der steigenden Zahl von Fahrradvarianten und Erwartungen, was ein Rad überhaupt zu leisten hat.
Es gibt den Familienkonvoi: Vater auf dem Tourenrad mit Babyanhänger, die Mutter auf dem Cityrad, der Fünfjährige auf dem Kinderrad, die Zweijährige auf dem Laufrad, das allein mit den Füßen gebremst wird. Dann gibt es im Gegensatz dazu die besondere Spezies der Mountainbiker und Radrennfahrer, die auf Tempo machen und in kurzer Zeit ihr Ziel erreichen wollen. Sie wollen eine Strecke bezwingen und am Ende ausgepowert sein. Für sie ist es Sport, kein Müßiggang. Familie auf Tour, Extremradler auf Tour – verschiedener können die Erwartungen an einen Ausflugstag nicht sein. Aber beide haben den gleichen Weg.
Die meisten sind mit einem Trekkingrad unterwegs. Doch immer häufiger hat es einen flachen Kasten auf dem Gepäckträger oder am Rahmen. Darin eingebaut ist die Batterie. Damit ist klar, warum gerade ältere Radler auffallend flott und ohne ersichtliche Kraftanstrengung daherkommen. Sie haben sich ein Elektrofahrrad zugelegt. Das kann bis zu 25 Stundenkilometer schnell werden.
Zum Problem wird das insbesondere bei Steigungen: Während der traditionelle Radler, der allein seine Körperkraft zur Verfügung hat, in der Geschwindigkeit zurückfällt oder gar absteigen muss, kann der E-Radler sein Tempo mehr oder weniger halten. Es drohen Auffahrunfälle wie auf der Autobahn, wenn Brummies am Hang ins Kriechtempo verfallen und nachfolgende Autos ausgebremst werden.
Wie oft es auf Wanderstrecken zu Kollisionen kommt, weiß die Polizei nicht. Die in der Regel kleinen Rempler werden nicht gemeldet. Sachschäden können der Privathaftpflichtversicherung gemeldet werden. Auch einfache E-Bikes sind in der Regel abgesichert. Doch Versicherungen haben unterschiedliche Bestimmungen. Da ist es besser, in der Police nachzuschauen oder mit der Versicherungsagentur Rücksprache zu halten. Elektrofahrräder, die mehrere Tausend Euro kosten können, sind nach einem Unfall unter Umständen kostspielig zu reparieren.
„Wachsweiche“ Regelung in der Straßenverkehrsordnung
Den besonders an Wochenenden wachsenden Verkehr auf Freizeitwegen kann die Polizei weitgehend nur zur Kenntnis nehmen, aber sie kann selten regelnd einschreiten. Einmal abgesehen davon, dass Polizei und Ordnungsämter gar nicht die personellen Kapazitäten haben, die vielen Wege regelmäßig zu kontrollieren.
Im Straßenverkehr sind Höchstgeschwindigkeiten, Mindestabstände zum Vordermann oder auch die Vorfahrt durch die Straßenverkehrsordnung (StVO) festgelegt. Um daran zu erinnern, sind ausreichend Verkehrszeichen vorhanden.
Auf Rad- und Wanderwegen gilt das alles nicht, sondern lediglich Paragraf drei der StVO: „Wer ein Fahrzeug führt, darf nur so schnell fahren, dass das Fahrzeug ständig beherrscht wird (…) Es darf nur so schnell gefahren werden, dass innerhalb der übersehbaren Strecke gehalten werden kann.“
Polizeioberkommissar Hans-Joachim Seibold vom Referat Prävention des Polizeipräsidiums Aalen mit Sitz in Fellbach nennt diese Bestimmung „wachsweich“. Seibold bringt Schülern im Rahmen der Verkehrserziehung Fahrradregeln bei. Während es für die technische Ausstattung des Rads genaue Vorschriften gibt, muss der Beamte ansonsten auf die Vernunft und Disziplin seiner Schüler setzen. Dass sie außerhalb des Unterrichts weiterhin den Fahrradhelm aufsetzen, darauf kann er letztlich nur hoffen.
In den kommenden Jahren wird der Fahrradverkehr auf Rad- und Wanderwegen weiter zunehmen. Denn dafür wird kräftig Werbung gemacht. Auch die Landesregierung setzt sich mit einem Förderprogramm für den Ausbau des Radwegenetzes ein. Besonders setzen die Landesregierung und der Tourismus auf das Elektrofahrrad. Es bringt vor allem ältere Bürger zu abgelegenen oder höher gelegenen Ausflugszielen, die sie zu Fuß oder mit dem einfachen Rad nicht mehr erreichen könnten. Da Senioren auch unter der Woche Zeit für Ausflüge haben, erhoffen sich vor allen die etwas abgelegenen Gastronomen Zusatzgeschäfte außerhalb der Wochenenden.
In der Region Stuttgart stehen mittlerweile 200 Pedelecs zum Ausleihen bereit (www.e-bike-region-stuttgart.de). Mehr als 100 Lademöglichkeiten bei Radhändlern, Gaststätten und Hotels stellen sicher, dass während einer Tour die Batterie immer wieder nachgeladen werden kann.
Wettbewerb der Landkreise um die Tagestouristen
Auch der Rems-Murr-Kreis setzt auf den Tagestourismus und das Fahrrad als Fortbewegungsmittel der Gäste. Er ist an der „E-Bike-Region Stuttgart“ beteiligt. Der Wirtschaftsförderer des Kreises, Markus Beier, sagt: Der Wettbewerb der Landkreise um die möglichen 2,7 Millionen Tagestouristen in der Region sei heftig, und auch die Tourismusbranche im Rems-Murr-Kreis möchte ihren Teil vom Kuchen abhaben. Dass die Rad- und Wanderwege generell an ihre Kapazitäten stoßen könnten, das sieht er nicht. Im großen Erholungsraum gebe es „viele, viele einsame Ecken“, in denen Wanderer und Radfahrer noch lange ungestört unter sich bleiben könnten.