ZVW, Uwe Roth, 24.02.2015
Backnang. Bringt ein Kind hartnäckig Buchstaben durcheinander, könnte eine Rechtschreib- und Leseschwäche vorliegen. Darunter leidet nicht nur die Deutschnote. Meistens sind die Leistungen eines Schülers insgesamt schlechter, als dies seinen Fähigkeiten entspricht.
Manchmal beginnen die Probleme schon mit der Einschulung: Nach dem jüngsten Bildungsbericht der Kreisverwaltung kommt jedes fünfte Kind im Rems-Murr-Kreis mit beträchtlichen Sprachproblemen in die erste Klasse. Schüler aus Migrantenfamilien sind da nicht mitgezählt. Sie bilden in der Statistik der Sprachprobleme eine eigene Gruppe.
Wenn im Elternhaus nicht Deutsch gesprochen wird, sind Anfangsschwierigkeiten zum Schulstart erklärlich. Aber auch Grundschülern deutschsprachiger Eltern fällt das Lesen- und Schreibenlernen auffallend oft schwer: Buchstaben werden verwechselt oder weggelassen, andere werden hineingemogelt. Die Schrift ist krakelig, kaum oder gar nicht lesbar. 20 Fehler in einem einzigen Satz können vorkommen. Beim lauten Vorlesen wiederum reihen die Kinder holprig Buchstaben aneinander, und es ist ihnen anzumerken, dass sie den Sinn des Wortes gar nicht begreifen. Manches klingt auswendig gelernt. Das liegt daran, dass Kinder versuchen, sich komplette Sätze zu merken, wenn man sie ihnen vorliest. Lesen und Schreiben lernen sie so aber nicht.
„Besonders wenn die Note im Fach Deutsch deutlich nach unten gegenüber dem Durchschnitt der übrigen Zensuren abweicht, sollten Eltern aufmerksam werden“, sagt Matthias Beck. Er betreibt in Backnang einen Ableger des Lehrinstituts für Orthografie und Sprachkompetenz (LOS). „Da kaum ein Schulfach ohne Lesen und Schreiben zu bewältigen ist, drohen naturgemäß nicht nur im Fach Deutsch schlechtere Zensuren“, stellt er fest. So könne ein mathematisch begabtes Kind an Textaufgaben kläglich scheitern. Nachhilfe in Mathe sei sinnlos.
Verständnis mit Verzögerung
Schimpfen helfe nicht weiter. Ausweg sei eine gezielte pädagogische Förderung. Das LOS biete in seinen Räumen keinen üblichen Nachhilfeunterricht, sondern ein spezielles Schreib- und Lesetraining durch Lehrer. Beck betont, eine Lese- und Rechtschreibschwäche sei nicht innerhalb weniger Wochen auszugleichen. Mit einer Dauer von ein bis zwei Jahren müssten die Eltern schon rechnen – bei zwei Unterrichtseinheiten à 90 Minuten wöchentlich.
Lehrer würden das Problem oft nicht erkennen oder schlicht ignorieren, sagt Beck. Ein gängiger Lehrerspruch zur Beruhigung der Eltern sei, die Schwäche wachse sich bei ihrem Kind mit der Zeit von alleine aus. Dies sei aber bei den allerwenigsten Kindern der Fall, so Beck. Beim großen Rest gehe das Martyrium unbehandelt weiter.
Stefan Jeuk, Leiter des Sprachdidaktischen Zentrums der Pädagogischen Hochschule Ludwigsburg, kann die Aussage zum Teil nachvollziehen, relativiert aber: Bei Auffälligkeiten sollten sich Eltern in jedem Fall zuerst an die Klassenlehrerin wenden. Selbstverständlich gebe es Spätzünder. So könne ein Kind in der zweiten Klasse noch größte Probleme beim Lesen haben, nach den Sommerferien in die Schule zurückkehren und ohne weiteres Harry Potter lesen. Letztlich müsse immer der Einzelfall betrachtet werden.
Jeuk gesteht ein, dass nicht alle Lehrer gleichermaßen für dieses Thema sensibilisiert seien. In der Lehrerausbildung sei nur wenig Zeit für das Erkennen und Behandeln von Lese- und Rechtschreibschwierigkeiten eingeplant. Tiefer gehende Kenntnisse müssten sie sich in der Lehrerfortbildung aneignen. Jeuk ist aber davon überzeugt, dass es an jeder Schule zumindest eine Lehrkraft gibt, die bei solchen Fragen weiterhelfen kann. Außerdem gebe es Beratungsstellen an den Schulämtern, die dafür zuständig seien. Konnten Schulen früher selbst Förderunterricht anbieten, müssen heute Eltern die Förderung überwiegend aus eigener Tasche finanzieren. Da in den seltensten Fällen eine Lese- und Rechtschreibschwäche als Krankheit diagnostiziert wird, übernimmt die Krankenkasse die Kosten in der Regel nicht.
Der Privatanbieter LOS beispielsweise verlangt für eine 90-minütige Unterrichtseinheit 45 Euro. Wieweit sich die Kosten von der Steuer absetzen lassen, muss mit dem Finanzamt abgeklärt werden. Erhalten Eltern Sozialleistungen wie Arbeitslosengeld 2, Wohngeld, Kinderzuschlag oder Sozialhilfe für den Lebensunterhalt, werden die Kosten vom Bund übernommen. Die entsprechende Grundlage ist das Bildungs- und Teilhabepaket. Die Förderdauer beträgt nach Auskunft einer Sprecherin des Landratsamts in der Regel sechs Monate, bei entsprechend schweren Fällen bis zu 1,5 Jahre. Anträge müssen bei der Kreisbehörde beziehungsweise beim Jobcenter gestellt werden. Eine Bestätigung durch die Schule ist Voraussetzung für die Kostenübernahme.
Onlinetest
Es gibt im Internet zahlreiche Onlinetests. Mit deren Hilfe können Eltern erkennen, ob bei ihrem Kind eventuell eine Lese- und Rechtschreibschwäche vorliegt. Beispiele sind:
www.dideon.de
www.hsp-plus.de
www.lrs-online.de/index.php/online-tests-
Die Tests sind zum Teil kostenpflichtig.