Von Uwe Roth, Brüssel, 08.01.2001, FTD
Europäische Volkspartei – 700 Vertreter christlich-konservativer Parteien aus 26
europäischen Staaten treffen sich in dieser Woche in Berlin, um über eine „Europäische Union gemeinsamer Werte“ nachzudenken.
Die Europäische Volkspartei (EVP), der Zusammenschluss der konservativen Parteien Europas, wird bei ihrem Kongress in dieser Woche in Berlin erstmals einen Katalog zur Kompetenzabgrenzung in der Europäischen Union (EU) vorstellen. Laut Entwurf des so genannten „Berliner Appells“ stuft die EVP die Außen- und Sicherheitspolitik, die Asyl- und Einwanderungspolitik sowie die Bekämpfung grenzüberschreitender Verbrechen als EU-Aufgabe ein.
Eine vollständige Vergemeinschaftung dieser Bereiche hatten die EU-Regierungschefs bei ihrem Treffen in Nizza noch abgelehnt. 2004 soll es dazu einen Gipfel geben. Zur EVP gehören 23 Parteien aus den 15 EU-Ländern, 17 assoziierte Parteien aus Beitritts- sowie anderen europäischen Staaten. Das Spektrum reicht von der politischen Mitte bis zu rechten Gruppierungen: Es umfasst CDU und CSU aus Deutschland sowie die schwedische Moderate Sammlungspartei ebenso wie Silvio Berlusconis rechte Forza Italia.
Die Konservativen stellen derzeit nur eine Minderheit der Regierungen in Europa. Im Europäischen Parlament (EP) dagegen ist die EVP seit Juni 1999 mit 232 Abgeordneten stärkste Fraktion. Unter dem Vorsitz des Deutschen Hans-Gert Pöttering sucht sie seither über die Einflussmöglichkeiten des EP den politischen Kräfteausgleich. So droht die EVP, die Annahme des Vertrags von Nizza scheitern zu lassen. Da Belgien und Italien ihre Ratifizierung der EU-Reform vom Votum des Parlaments abhängig gemacht haben, könnten die europäischen Konservativen zum Zünglein an der Waage werden. Der 14. Kongress der Europäischen Volkspartei findet auf Initiative der CDU-Vorsitzenden Angela Merkel in der Bundeshauptstadt statt.
Über 700 Teilnehmer werden erwartet, darunter die Regierungschefs von Luxemburg, Jean-Claude Juncker, und Österreich, Wolfgang Schüssel. Auf der Rednerliste stehen unter anderem Edmund Stoiber und Berlusconi. Die Parteispitze hat sich nicht nur die Verabschiedung des „Berliner Appells“ vorgenommen. Auf der Tagesordnung steht ebenso die Annahme eines Grundsatzpapiers, in dem „Eine Union gemeinsamer Werte“ beschrieben wird. Es ist der Versuch, gesellschaftspolitische Entwicklungen wie den Wandel in der Arbeitswelt, in der Kommunikations- und Biotechnologie mit christlich-konservativen Werten zu verknüpfen.
Beobachter sind gespannt, ob es den Autoren, darunter der CDU-Politiker Karl Lamers, gelingt, die unterschiedlichen Interessen in der europäisch-konservativen Parteienlandschaft in einem mehrheitsfähigen Text unterzubringen. Deutlich verlangen sie einen „europäischen Verfassungsvertrag“, in dem die Kompetenzen der EU und ihrer Institutionen festgeschrieben werden. Eindeutig ist ihr Bekenntnis, dass dazu die „Sicherung des Binnenmarktes und der Währungsunion“, aber auch der Außenhandel gehören.
Die Europäische Volkspartei will um die EU geografische Grenzen ziehen. „Grenzenlosigkeit ist Selbstverlust“, heißt es im Entwurf des „Berliner Appells“. „Die geografische Ausdehnung der EU darf ihre Integrationskraft nicht überfordern.“ Staaten in den Randzonen, die im Text allerdings nicht genannt werden, sollten statt einer Vollmitgliedschaft „Formen einer institutionalisierten Kooperation“ angeboten werden. Wie es die Konservativen mit einer möglichen Aufnahme Russlands und der Türkei halten, lässt der Text offen.