EU: Politiker sprechen gern von mangelhafter Transparenz in Brüssel – kennen sich selbst jedoch nicht aus
Stuttgart/Mannheim. „Kenntnisarm, aber meinungsfreudig“ – so werde im Allgemeinen über Europapolitik diskutiert. Das sagt Günter Behrens, Fachreferent beim Volkshochschulverband Baden-Württemberg. Einfaches Grundwissen über das Funktionieren der Europäischen Union fehlt nicht allein beim Wähler. Auch so mancher Mandatsträger argumentiert auf dünnem Eis.
Regelmäßig vor Europawahlen landen bei Günter Behrens Anfragen nach Europaseminaren. Dann dämmert’s den Parteien, dass ein Debakel bei der Wahlbeteiligung drohen könnte. Aus dem Nichts heraus liegt ihnen die ansonsten eher ungeliebte Europäische Union plötzlich am Herzen. Im Schnellverfahren soll dem Volk klar gemacht werden, dass das Europäische Parlament eine durchaus wichtige Einrichtung sei. Europaabgeordnete, die – kaum in Brüssel – gerne in Vergessenheit geraten, genießen für ein paar Wochen die volle Aufmerksamkeit ihrer Parteizentralen.
„Doch Volkshochschulen sind weder Reparaturwerkstätten noch Akzeptanzbeschaffungs-Agenturen“, wehrt der Referatsleiter für politische Bildung beim vhs-Verband Baden-Württemberg ab. Außerdem lösten EU-Themen bei seinen Programm planenden Kollegen eher Abwehrreflexe aus. Der Aufwand (Organisation) stehe in keinem Verhältnis zum Ergebnis (magere Teilnehmerzahlen). Das gelte für politische Themen generell, insbesondere jedoch für Veranstaltungen, die Europa im Titel führten. Die Kursgebühren seien ebenfalls ein Grund, denn für politische Bildung gebe kaum jemand gern Geld aus.
Florian Setzen vom Europazentrum Baden-Württemberg sagt selbstkritisch: „Oft sind die Themen nicht spannend genug formuliert, um das Publikum neugierig zu machen.“ Er setzt auf Mitnahmeeffekte: Melde sich ein Kegelclub zu einer Europaveranstaltung an, seien in der Gruppe vielleicht nur zwei, drei Interessierte. Aber auch an den übrigen gehe die Teilnahme letztlich nicht spurlos vorbei. Die deutsche EU-Ratspräsidentschaft und die Berichterstattung darüber hätten ihm gezeigt, dass die Bevölkerung durchaus aufnahmebereit sei. Dies hat sich auch in der Zustimmungsquote der Deutschen für die EU gezeigt. Diese stieg innerhalb von einem halben Jahr um zehn Prozentpunkte und liegt jetzt etwa bei 60 Prozent.
Dass Europaarbeit bedeutet, in besonders dicke politische Bretter zu bohren, weiß auch Inge Kronbach, die seit acht Jahren im Europabüro der Stadt Mannheim EU-Themen und Förderprogramme in die Kommunalpolitik einbringt. Auch wenn ein Stadtrat unmittelbar mit EU-Politik in Berührung komme, dürfe nicht automatisch erwartet werden, dass er sich über die Strukturen kundig mache, nach denen Entscheidungen zustande kommen. „Wir informieren über die Fakten“, sagt die Rathausmitarbeiterin, „was die Politiker daraus machen, müssen wir ihnen überlassen.“ Oft aber stelle sie fest, dass das Verständnis fehle. „Da glaubt mancher, die Stadt könne nach Belieben in irgendwelche EU-Fördertöpfe greifen.“
Kronbach selbst bekommt „viel Gedrucktes“ auf den Schreibtisch, um bei EU-Themen auf dem aktuellen Stand zu bleiben. „Schließlich schlägt sich 70 bis 80 Prozent der Brüsseler Gesetzgebung in der Verwaltung nieder“, sagt sie. Einer der lukrativsten Informationskanäle ist ihrer Meinung nach immer noch der persönliche Kontakt: „Geht es um Verwaltungsabläufe, setze ich mich mit unseren EU-Ansprechpartnern in Verbindung.“
Nicht nur Kronbach hat das Problem, die komplexen Themen an den Mann und die Frau zu bringen. „Unsere Texte müssen wir sehr einfach formulieren“, sagt Volker Thomas, Redakteur der wöchentlich erscheinenden EU-Nachrichten der Europäischen Kommission. Fachbegriffe müssten in einem viel höheren Maß vermieden werden als bei Texten, die die Bundes- oder Landespolitik beträfen. Ebenso wie die Bürger haben auch Politiker in der Schule oder auch während eines Politikstudiums wenig über die EU zu hören bekommen. „Über deutsche Politik glaubt man Bescheid zu wissen“, so der Journalist, „die Unwissenheit über Europa wird dagegen mit der mangelhaften Transparenz in Brüssel gerechtfertigt.“
Doch so einfach ist es eben nicht. Fakten gehören schlicht gelernt – auch von Politikern, die nicht täglich mit Europa zu tun haben: Was unterscheidet eine Richtlinie von einer Verordnung, was bedeutet das Mitentscheidungsverfahren für das Europäische Parlament, wie kommt der EU-Haushalt zustande oder auch, nach welchen Regeln funktioniert der europäische Binnenmarkt? „Wie Europa funktioniert, das werden Sie aus den täglichen Pressemitteilungen der EU-Institutionen nicht erfahren“, sagt Thomas. Wenn über die Fortschritte in der Föderalismusreform berichtet werde, erwarte im Übrigen auch niemand, dass die entsprechenden Fundstellen im Grundgesetz jedes Mal mitgeliefert würden.
Während Politiker sich selbst um eine Erweiterung ihres Europawissens kümmern müssen, achtet die Landesverwaltung sehr wohl auf eine Bildungsqualifizierung zumindest ihrer Führungskräfte. Die entsprechenden Lehrgänge enthalten immer auch einen Basiskurs EU. Darüber hinaus bietet die Führungsakademie Baden-Württemberg freie Seminare zu Europathemen an. Im Staatsministerium wurde vor einigen Jahren ein sogenannter Europapool eingerichtet. Dies ist eine Kompetenzdatenbank mit Namen von Landesbediensteten, die sich spezielles Europawissen sowie Sprachenkenntnisse erworben haben und folglich qualifiziert sind, um beispielsweise in der Landesvertretung in Brüssel zu arbeiten.
Wie wichtig das Verständnis von EU-Politik ist, musste vor kurzem Agrarminister Peter Hauk (CDU) erfahren: Sein erstes Konzept für 143 Millionen Euro aus dem Europäischen Fonds für regionale Entwicklung (EFRE) ist bei der EU-Kommission durchgefallen.