EU-Zuständigkeit: Adressaten im Land

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Europamüdigkeit ist nicht zu empfehlen – V O N  U W E  R O T H, 19.03.2007, bw-Woche

Ende Februar hielt Landwirtschaftsminister Peter Hauk (CDU) einen Vortrag über die „Auswirkungen der Alkoholstrategie der EU auf die Brauwirtschaft im Südwesten“. Die Branchenvertreter lauschten wenig begeistert, doch äußerst aufmerksam. Brüssel ist überall, auch im Land. Wer das nicht akzeptiert, kann Schiffbruch erleiden, wie der jüngste Streit um CO2-Abgaswerte zeigt.

Anlass der Veranstaltung war ein Strategiepapier der Europäischen Kommission. Darin stellt sie Überlegungen vor, wie der Alkoholkonsum vor allem bei jungen Menschen eingeschränkt werden könnte. Im Alkoholtrinken sind die Unionsbürger Weltklasse – nicht allein zum Schaden der Gesundheit, sondern auch des Sozialsystems sowie der Wirtschaft in der Europäischen Union.

Daumenschrauben. Noch vor wenigen Jahren hätten die betroffenen Unternehmen eine solche Ankündigung der Brüsseler Behörde ignoriert. Inzwischen wissen es die Wirtschaftsbosse besser und spitzen frühzeitig die Ohren. Jüngstes Beispiel dafür, was passieren kann, wenn man Ankündigungen auf EU-Ebene nicht ernst nimmt, ist der Streit um CO2-Abgaswerte. Ausgangspunkt war eine Selbstverpflichtung der Automobilindustrie, die nicht eingehalten wurde. Daraufhin zog die Kommission jetzt die Daumenschrauben an. Besonders die beiden Stuttgarter Fahrzeugbauer sind nun unter Druck geraten – ihre Fahrzeuge produzieren deutlich mehr Kohlendioxid als erlaubt. Darüber ärgern sich nicht allein Kommissare, sondern auch Verbraucher. Das kann die Konzerne teuer zu stehen kommen. Es gibt zahlreiche weitere Beispiele, wo man im Land auf ein EU-Thema aufmerksam wurde, als es schon oder fast zu spät war: Die Öffnung der Energiemärkte jagte den Stadtwerken einen derartigen Schrecken ein, als wäre sie von heute auf morgen gekommen. Dass sie die Liberalisierungsbestrebungen bislang überstanden haben, liegt weniger am eigenen Bemühen als an der Tatsache, dass sich ein regulierter Markt so einfach nicht deregulieren lässt.

Zugzwang. Die Umsetzung der Flora-Fauna-Habitat- und Vogelschutzrichtlinie, die ein europäisches Biotopverbundsystem herstellen soll, zog sich über viele Jahre. Manche Kommunen hatten schlicht verpennt, dass sie im Zugzwang waren. Bei der Feinstaubrichtlinie ist es nicht wesentlich anders gelaufen. Seit 1998 kannten die Verantwortlichen auf Landes- und kommunaler Ebene die geplanten Grenzwerte, vielmehr: Sie hätten sie kennen können. Sieben Jahre hätten sie Zeit gehabt, um darüber nachzudenken, wie man die EU-Vorschrift umsetzen kann, ohne sie zu verletzen. Man darf gespannt sein, ob es bei der Lärmschutzrichtlinie besser läuft, bei deren Umsetzung auch die Kommunen gefordert sind.

Europa ist stärker in den Fokus der Lokalpolitik gerückt, seit Bauprojekte, Anschaffungen und sonstige Dienstleistungen von einem bestimmten Auftragswert an europaweit ausgeschrieben werden müssen. Die heimische Wirtschaft ist seither bei der Vergabe nicht mehr automatisch bevorzugt. Weitere Felder, auf denen EU-Recht gilt, sind der Trinkwasser- und Gewässerschutz, die Müllentsorgung, die Lebensmittelüberwachung und Umgang mit Asylsuchenden. All dies wurde in Brüssel verabschiedet, in Bundes- und Landesrecht übersetzt und wird nun von den Behördenmitarbeitern angewandt. Auch die Polizei ist immer stärker europäisch vernetzt.

Fördertöpfe. Baden-Württemberg ist ein großer Exporteur in den Binnenmarkt: Zwei Drittel der Exporte aus dem Land wandern in Länder der Europäischen Union. Der freie Binnenmarkt sichert Arbeitsplätze im Land. Darüber aber wird weniger geredet als über die Frage, ob das Land genügend Subventionen aus Brüssel zurückerhält. Als einer der reichsten Regionen in der EU bleiben Baden-Württemberg einige Fördertöpfe verschlossen. Aber es wird dennoch eine Menge Geld aus Brüssel ins Land überwiesen: Obwohl die Arbeitslosenquote gering ist, fließen in den nächsten sieben Jahren 266 Millionen Euro aus dem Europäischen Sozialfonds in den Haushalt der Landesregierung. Für die Entwicklung der ländlich strukturierten Gebiete im Land schießt die EU für den gleichen Zeitraum 143,4 Millionen Euro zu. Die Nase vorn hat das Land bei der europäischen Forschungsförderung. 50,5 Milliarden Euro umfasst das auf sieben Jahre angelegte 7. Forschungsrahmenprogramm der EU. Einiges davon werden die Universitäten und Forschungseinrichtungen, aber auch Unternehmen im Land für sich in Anspruch nehmen können. Allein die Hochschulen in Baden-Württemberg kommen auf rund 50 Millionen Euro jährlich.