SWP Uwe Roth 30.08.2017
Eidechsen sind in der Region ein Politikum. Weil sie selten und nicht nur Stuttgart 21 im Weg sind, werden sie für viel Geld verpflanzt. Am Killesberg sorgt das für Unmut.
Ein bulliger Bagger schafft Platz für die zierliche Mauereidechse. Schließlich soll sich das bis zu 25 Zentimeter lange Kriechtier auf der Feuerbacher Heide am Stuttgarter Killesberg ebenso wohlfühlen wie in seiner Noch-Heimat Unter- und Obertürkheim. Dort durchkreuzt demnächst das Bahnprojekt Stuttgart 21 ihren natürlichen Lebensraum. Weil diese Eidechsenart EU-weit streng geschützt ist, muss die Population aus geschätzt etwa 2000 Tieren aus dem Neckartal umgesiedelt werden, bevor dort die umfangreiche Baustelle eingerichtet werden kann.
Hubert Laufer ist in Baden-Württemberg der Spezialist für Reptilien und ehrenamtlicher Fachbeauftragter beim Naturschutzbund (Nabu) Baden-Württemberg. Auf die Frage, warum man die blitzschnellen Kriecher nicht mit geringem Aufwand auf die Schwäbische Alb verbringen kann, wo sie ihre Ruhe hätten statt sie kostspielig in Stadtnähe unterzubringen, erklärt er: „Auf der Schwäbischen Alb gibt es keine Mauereidechse.“ Und das muss nach seiner Überzeugung so bleiben. Dem Experten geht es nicht allein darum, dass die Tiere die Tunnelbauten und den Gleisneubau überleben. Das Überleben zu sichern, sei schon ein gesetzlicher Auftrag.
Vermischung unter Eidechsen verhindern
Dem Landschaftsökologen ist vor allem wichtig, eine weitere genetische Vermischung der Reptilienarten zu verhindern. Die Reptilien, die eingefangen werden müssen, seien bereits ein „genetischer Mischmasch“, sagt Laufer. Man wisse nicht, welche weiteren Auswirkungen es habe, wenn sich die Zauneidechse mit einer – wie er sagt – „fremdländischen Linie“ kreuze. Sie könne mit neuer Genkombination zur Plage werden, aussterben oder andere Tiere verdrängen. Niemand könne das vorhersagen, so Laufer. Daher sollten die Tiere einer Population schön unter sich bleiben.
Mit viel Aufwand wird die Feuerbacher Heide am Wohngebiet Killesberg in Stuttgart Eidechsen gerecht umgestaltet. Das Gelände ist Ausweichfläche für Reptilien, die im Neckartal S 21-Baustellen weichen müssen. Foto: Uwe Roth
Das Regierungspräsidium Stuttgart hat sich die Feuerbacher Heide als geeignete Umsiedelungsfläche ausgeguckt. Die Stadt hat dem Wunsch entsprochen. 80 Quadratmeter benötigt eine Mauereidechse, eine Zauneidechse sogar 150 Quadratmeter Lebensraum, hat Laufer berechnet. Das könnte passen. Doch das Gelände liegt am Rand von Stuttgarts teuerster Wohnlage. Eine Mauer eidechse benötigt Gestein mit Spalten sowie Schotterflächen zum Klettern und Verkriechen, um sich heimisch zu fühlen. Deswegen müssen dort etwa 6000 Quadratmeter Graslandschaft in der Nachbarschaft des berühmten Tennisclubs Weißenhof mit Baggern Reptil gerecht gestaltet werden.
Das missfällt einigen Anwohnern. Sie wollen der Stadt mit einer zehn Jahre alten Diplomarbeit klarmachen, dass das Gelände untauglich sei. Es diene seit jeher der Kaltluftgewinnung, die aber durch das künstliche Mauerwerk gestört werde, da Stein bekanntlich Sonnenwärme speichere und nachts abgebe. Die Stadt lässt dieses Argument nicht zu. „Die nächtliche Wärmeabstrahlung und damit die Abkühlung der Oberflächen ist nicht beeinträchtigt“, teilt ein Sprecher knapp mit.
Kosten der Eidechsenumsiedlung bei 15 Millionen Euro
Spätestens seit die Bahn bekannt gegeben hat, dass sie für die Umsiedelung der Reptilien 15 Millionen Euro eingeplant hat und laut einem S- 21-Sprecher pro Tier Kosten zwischen 2000 und 4000 Euro – in einigen Fällen sogar bis zu 9000 Euro anfallen – ist das Thema zum Politikum geworden. Projektbefürworter beschuldigen Naturschützer (die häufig zugleich Gegner sind), mit extremen Forderungen an den Tierschutz die Kosten in die Höhe zu treiben.
So hat der Nabu-Landesverband eine vorübergehende Unterbringung in einem Freilandterrarium beim Kirchheim/Teck (Landkreis Esslingen) als günstigere Lösung erfolgreich abgelehnt und stattdessen die jetzt gefundene Lösung für gut befunden. S-21-Gegner wiederum kritisieren, die Bahn habe schlicht schlampig geplant und zu spät an die Bedürfnisse der Tierwelt gedacht. Deswegen entstünden für den vorgeschriebenen Artenschutz derartige Mehrausgaben.
Ob der Versuch dieser Eidechsenumsiedelung gelingt, ist für Hubert Laufer noch nicht in trockenen Tüchern. In jedem Fall müsste das Gelände für einige Zeit abgezäunt bleiben. Reptilien ließen sich ungern auf ein neues Terrain ein. Unter großer Kraftanstrengung gingen sie das meistens tödliche Risiko ein, in ihr angestammtes Biotop zurückzuwandern. Das wären in diesem Fall so knapp unüberwindbare zehn Kilometer.
Ausweichquartier im Weinberg
Schönbuchbahn Nicht nur innerhalb der Landeshauptstadt werden derzeit Eidechsen umgesiedelt. Der zweigleisige Ausbau der Schönbuchbahn zwischen Holzgerlingen und Böblingen, der zu Beginn der Sommerferien begonnen hat, hatte in diesem Fall eine Umzugsaktion für Zauneidechsen nötig gemacht. Auf einer bereits länger stillgelegten Mülldeponie wurde an einem Hang das üppige Buschwerk zurückgeschnitten und das Eidechsenbiotop artgerecht gestaltet.
Trockenmauern In Steinheim an der Murr (Landkreis Ludwigsburg) lässt die Deutsche Bahn mit viel Aufwand in einem ehemaligen Weinberg 300 Quadratmeter Trockenmauern sanieren. Bereits seit einigen Jahren nutzt die Bahn den sogenannten Burgberg als Ausweichquartier für Eidechsen von Stuttgart- 21-Flächen. Während der Bund für Umwelt und Naturschutz mit der Bahn über die Eignung des Geländes streitet, ist die Stadt zufrieden: Die Erneuerung der Mauern, deren Kosten mit bis zu 500 Euro je Quadratmeter angegeben werden, zahlt nun die Bahn.⇥uro
Siehe auch:
http://s-21-baubeginn-tunnelkreuzung
http://journalistroth.eu/s-21-gegner-hoffen-auf-einen-baustopp/
http://journalistroth.eu/stunde-der-tunnel-gegner/