Vor dem Spatenstich für die neue Kleingartenanlage am Römerhügel. Im Hintergrund das Stadtpanorama Ludwigsburg. Foto: Uwe Roth

Dürre müsste Thema sein – doch Corona ist eine Nachrichten-Pandemie

Print Friendly, PDF & Email
An etwas anderes zu denken als an Corona, scheint im Moment verwerflich zu sein. Auch in den Redaktionen ist das wohl so. Wer das Thema unter dem Gesichtspunkt, reicht es nicht langsam in dem Umfang?, anspricht, bekommt eine genervte Reaktion zurück…
 

 

An etwas anderes zu denken als an Corona, scheint im Moment verwerflich zu sein. Auch in den Redaktionen – egal ob print oder elektronisch (TV inklusive) – ist das wohl so. Wer das Thema unter dem Gesichtspunkt, reicht es nicht langsam in diesem Umfang seit Wochen?, anspricht, bekommt eine genervte Reaktion zurück…

Warum sich neue Themen ausdenken, so lange sich Corona für die Berichterstattung geradezu aufdrängt? Schließlich fühlen sich die Informationsgeber aus Politik, Verwaltung und Medizin etc. scheinbar genötigt, täglich den Medien einen (persönlichen) Beweis dafür abzuliefern, dass sie Corona an diesem Tag kein bisschen weniger ernst nehmen als am Tag zuvor.

Entscheider haben mehr Angst vor falschen Beschlüssen als vor der Pandemie

Mir drängt sich immer öfter der Eindruck, die verantwortlichen Entscheider haben mehr Angst vor einem voreiligen Beschluss als vor der eigentlichen Pandemie.

Schließlich hatte die Demokratie schon vor Corona deutliche Anzeichen mehrerer Vorerkrankungen, die jetzt durch eine falsche Einschätzung der Pandemie tödliche Folgen haben könnte. Die AfD wird dafür gar nicht gebraucht.

Heute: Aufmacher auf der 1. Lokalseite. Die gefühlt 20. Geschichte, wie man an eine Maske kommt. Länge: 3/4 der Seite. Aufmacherfoto ist eine Schutzmaske. Bingo. Nachrichtenwert angesichts der Vorberichterstattung: null. Unten ein kleiner Zweispalter über drohende Ernteausfälle. Kein Bild.

Drohende Ernte-Ausfälle sind längst eine lautstarke Nachricht wert

Nennt mich nervig. Einige tun es. Ich weiß das. Aber ich gehe davon nicht ab zu behaupten: Eigentlich müsste die Platzierung inzwischen genau umgekehrt sein. Thema Trockenheit/Klimawandel als Aufmacher nach oben. Wie bastele ich mir eine Maske? nach unten. Wenn’s denn unbedingt sein soll.

Eines ist sicher: Ernteausfälle werden nicht auszuschließen sein. Das allein ist eine Nachricht, der angemessene Größe gebührt. Was heißt das für

  • die Lebensmittelversorgung?
  • Werden die Grundnahrungsmittel teurer?
  • Was wird aus den landwirtschaftlichen Betrieben?
  • Was ist aus den Absichten geworden, die Innenstädte mit mehr Grün und weniger Autos etwas mehr klimasicher zu machen?

Die Menschen haben sich in den vergangenen Wochen an Hamsterkäufe als probates Mittel gegen Angstbewältigung gewöhnt.

Wetter-Moderatoren von ARD und ZDF haben Trockenheit als Erstes aufgebracht

Das könnte sich angesichts der wachsenden Thematisierung der Trockenheit in den kommenden Wochen wiederholen. Warum nicht rechtzeitig auf das Thema einsteigen? Warum als Redaktion warten, bis man mitten in der neuen Krise steckt? Den Wetter-Moderatoren von ARD und ZDF ist es überhaupt zu verdanken, dass ein Teil der interessierten Öffentlichkeit weiß, dass es seit Wochen viel zu wenig regnet. Südeuropa versauft dagegen im Regen. Da sich dieses Phänomen seit Jahren wiederholt, müssten auch in den Lokalredaktionen längst die Alarmglocken schrillen. Das Leben ihrer Leser wird sich mittelfristig gravierend ändern.

Aber nein, Corona ist im Bewusstsein der Themen-Entscheider die alleinige Bedrohung, vor der die Leser/Seher/Hörer zu beschützen ist. Das ist beschlossene Sache.

Jeder wahllose Aspekt bietet Stoff für weitere Corona-Doublette

Bislang war es so: Hat man einem Redakteur/einer Redakteurin ein Thema angeboten, dessen exklusive Nachricht nicht sofort ins Auge sprang, kam als Grund für die Ablehnung häufig: „Du, das Thema hatten wir, glaube ich, vor einem halben Jahr schon mal in ähnlicher Form. Ich kann mal nachschauen…“ Früher hat man auf das Langzeitgedächtnis der Leser gesetzt, in der sie die Themen mindestens der vergangenen zwölf Monate abgelegt haben.

Heute genügt bei Corona ein minimalster Weiterdreh zur aktuellen Berichterstattung – und zack ist die Beinahe-Doublette veröffentlicht. Allerdings kommen die Freien nun aus anderen Gründen bei der Themen-Vergabe nicht zum Zug.

Kein Platz mehr für Instant-Porträts über x-beliebige Corona-Betroffene!

Das Corona-Thema lässt sich lokal inzwischen locker auf zwei Seiten packen. Ganz im Ernst. Ich will auch keine weiteren Geschichten lesen, wie’s in Geschäften aussieht, die gerade wieder aufgemacht haben. (Tenor in allen Texten: „Andrang hielt sich in Grenzen“). Ich will keine schnell geschriebene Instant-Porträts mehr lesen: Wie geht es Xx mit der Pandemie, wie fühlt sich Xy in der fünften Woche im Home-Office, was macht Gastronom Xz allein hinterm Zapfhahn?

Corona und die neue Nachbarschaftshilfe scheint als Thema jeden Quatsch zu rechtfertigen: Eine Familie mit zwei Kinder und einem Hund führt zusätzlich den Hund eines Nachbarn aus, der in Quarantäne ist… Von der Redaktion wird die Hilfsbereitschaft der Familie ausdrücklich gelobt. Also schlimmer geht’s nimmer.

Für wen eigentlich berichten die Medien über Corona?

In der Bevölkerung gibt es drei Arten von Rezipienten:

  • Die klassischen, die vernünftig mit den Medien umgehen. Die täglich ihre Zeitung lesen, eine Wochenpublikation und die täglichen Nachrichten in TV/Radio. Selbstverständlich sind die sozialen Medien eine Informationsquelle, mit der sie umzugehen wissen. Die haben die Corona-Regeln längst kapiert und verinnerlicht. Die müssen nicht täglich aufs Neue ermahnt werden.
    Für sie ist die Corona-Berichterstattung längst zur Suche der Nadel im Heuhaufen geworden: Das Herauspicken von Informationen mit neuem Nachrichtenwert aus einem Strohhaufen voller fast Nachrichten-Doubletten.
  • Die Ängstlichen, die sich täglich darin bestätigt fühlen, im Meer der immer gleichen Warnmeldungen untergehen zu können. Gierig saugen sie auf, was ihre Ängste bestätigt. Die Berichterstattung tut diesen Menschen keinen Gefallen.
  • Die Zufalls-Informations-Aufschnapper. Diese Surfen unsystematisch durch die sozialen Medien und zappen sich durch die TV-Kanäle. Was am Ende bei denen als „Wissen“ im Kopf ankommt, lässt einen Schaudern. Sie stellen sich ihre Nachrichten völlig freihändig zusammen. Diese sind eine Mischung aus tatsächlichen Neuigkeiten, Gerüchten, Lügen und Verschwörungstheorien. Wie man an diesen wachsenden Personenkreis mit seriösen Informationen herankommt, weiß kein Mensch.