ZVW Uwe Roth 19.06.2015
Welzheim. Stephan Bender ist ein entscheidender Wegbereiter zur Anerkennung des Limes als Unesco-Welterbe. Heute ist der Archäologe Limeskoordinator des Landes. Er sagt, der Limes ist nicht nur ein Bauwerk. Er ist ein Symbol, wie Menschen Fremden eine Grenze setzen.
Treffen am Ostkastell in Welzheim. Stephan Bender hat auf gutes Wetter und ein sommerliches Foto gehofft. Er steht im kurzärmeligen Hemd da. Doch der Wind pfeift für Juniverhältnisse eiskalt durch den Archäologischen Park. „Ich friere nicht so leicht“, wehrt er ab und schiebt nach: „Als ich den Limesverlauf dokumentiert habe, musste ich bei Wind und Wetter raus.“ Als Einzelkämpfer mit GPS-Gerät und Antenne im Rucksack habe er Tag für Tag die Vermessung der Römerwelt betrieben, sagt er. Das war vor fast 15 Jahren und damals noch in Hessen. Aber seine Erinnerung an diese Zeit ist Teil der Geschichte, wie der Limes Uneso-Welterbe wurde.
Beiläufig übersetzt der Limeskoordinator, während er fotografiert wird, eine lateinische Inschrift. Er schildert den gefährlichen Alltag eines Legionärs, der einen solchen Gedenkstein auf eigene Kosten zu Ehren Jupiters anfertigen lassen hat – als kleines Dankeschön fürs Überleben. Dann zeigt Bender auf die Reste des Westtores und lässt die Bemerkung fallen, heute würde man es sehr viel größer rekonstruieren. Der Nachbau verschweige seine wahre Größe als Einlasstor in die römische Welt – oder umgekehrt als Ausgang ins unbekannte Germanien.
Eine Grenze im politischen Sinn ist der Limes nie gewesen
Es freut ihn selbstverständlich, dass dem Welterbe gerade im zehnten Jahr nach seiner Ernennung durch die Unesco so viel Beachtung geschenkt wird. Wie populär sein Thema ist, zeigt sein voller Terminkalender. Es gibt allerorten fröhliche Römerfeste, Menschen verkleiden sich als Legionäre und spielen deren Soldatenleben nach. Es wird nach Römerrezepten gekocht und Keramik nachgebildet. Der Limes lockt Touristen in den Schwäbischen Wald. Alles ist gut. Doch am Ende ist es Folklore, ein bisschen Fantasiawelt, die der wahren Bedeutung der Anlage jedoch nicht gerecht werde.
Bender ist Wissenschaftler. Den Limes in seiner vollen Länge lediglich als grandiose Leistung damaliger Ingenieurskunst zu preisen, greift für ihn ebenfalls zu kurz. „Der Limes hat seine Bedeutung im Sinne von Denk-Mal“, sagt er. Leider bleibe diese aber im Verborgenen, werde in den Veranstaltungen wenig angesprochen. Das beginne bereits beim vorherrschenden Geschichtsbild, das die Öffentlichkeit von der damaligen Zeit habe.
Dieses Geschichtsbild sei von Historikern und Archäologen des 19. Jahrhunderts geprägt, einer Zeit also, als in den entstehenden Nationalstaaten viel über die Bedeutung von Grenzen nachgedacht worden sei. Eine Scheidelinie im politischen Sinn sei der Limes aber nie gewesen, sagt Bender. Er vertritt sogar die These, der Limes sei nicht die Außengrenze des Römisches Reiches gewesen.
An den Toren des Sperrwerks wurde selektiert, wer mit den Römern Geschäfte machen durfte und wer nicht. Der Limes war nach seiner Auffassung vielmehr eine Art Wirtschaftsgrenze. „Römer zu sein, war eine Rechtssache und keine Frage der Nationalität“, erläutert Bender. Römer konnte jeder werden, der was zu bieten oder geleistet hatte. „Den Römern kann man viel vorwerfen, aber nicht Rassismus“, stellt er fest. Am Limes sind römische und germanische Kultur aufeinandergestoßen. Der Limes hatte nicht die Aufgabe, beide Kulturen strikt getrennt zu halten. Vielmehr ließ der Limes auch den Kulturaustausch zu – in beherrschbaren Dosen.
Bei den Stichworten Limes und Wirtschaftsgrenze hört er die „Parallelen geradezu schreien“. Der Sicherheitszaun zwischen Mexiko und den USA ist für ihn so ein Beispiel, bei dem sich ein Land gegen Eindringlinge wehrt, die nicht nur Arbeit suchen, sondern auch Waffen und Drogen schmuggeln. Einen Europa nahen Sicherheitszaun sieht er bei den spanischen Enklaven in Marokko, der Flüchtlinge davon abhalten soll, ihr Ziel Europa zu erreichen.
Das Mittelmeer ist eine Art Limes ohne legalen Durchgang
Letzten Endes ist dann auch das Mittelmeer eine Art Limes mit dem entscheidenden Unterschied, dass die EU-Außengrenze im Gegensatz zur römischen Zeit keine legalen Durchlässe hat. Limes ist für Bender aktuelle Geschichte, aus der man Schlüsse ziehen kann, wie Menschen mit Fremden umgehen. Für ihn ist eine solche Forschung und Debatte nicht weniger wichtig, als den zigsten Grundriss entlang des Limes zu dokumentieren.
Der Limes ist seine Leidenschaft. Mit seinem Forschungsansatz bleibt ihm aber immer der Bezug zur Gegenwart. Die Leidenschaft begleitet ihn fast schon durch sein ganzes Leben: Stephan Bender gehört zu den wenigen Menschen, die als Schüler eine klare Vorstellung hatten, warum sie Latein lernen. „Seit meiner frühen Kindheit haben mich die Römer fasziniert“, sagt Stephan Bender. Deshalb war ihm schon in der Schule klar, „dass ich Archäologe werden wollte.“ Das hat mit der Gegend zu tun, in der er aufgewachsen ist. 1965 ist er im hessischen Gießen geboren. In der Umgebung südlich der Stadt gibt es zahlreiche Hinterlassenschaften der Römer. Er liebte die Ausflüge dorthin.
So wusste Stephan Bender nicht nur früh, warum fließende Lateinkenntnisse ihm nützlich sein werden, sondern auch dass er Provinzialrömische Archäologie studieren musste, um sich später dem Limes beruflich widmen zu können. Er studierte das Fach erst in Frankfurt, anschließend in Freiburg. Viele Universitäten hatte er nicht zur Auswahl. Seine Doktorarbeit widmete er den Bronzeschalen mit flachem horizontalem Griff, den sogenannten Kasserollen, aus den römischen Vesuvsiedlungen. Anschließend führte ihn der berufliche Weg endgültig zum Obergermanischen-Raetischen Limes. Im Jahr 2000 kam er als Mitarbeiter des Landesamtes für Denkmalpflege Hessen in das Team, das den erfolgreichen Welterbe-Antrag für die Bundesländer Baden-Württemberg, Bayern, Hessen und Rheinland-Pfalz zusammenstellte. Sein Beitrag war die Dokumentation des hessischen Limes.
Mittlerweile ist sein Territorium Baden-Württemberg. Als Limeskoordinator ist er angestellt beim Landesamt für Denkmalpflege, eine Abteilung des Regierungspräsidiums Stuttgart, die ihren Sitz in Esslingen hat. Außerdem ist er Leiter des Limes-Informationszentrums in Aalen. Auch mit dem Rems-Murr-Kreis ist er bestens vertraut.