ZVW Uwe Roth 23.09.2016
Hochkarätig besetzte Podiumsdiskussion im Klinikum Schloss Winnenden
Ein älterer Zuhörer bringt das Dilemma im Umgang mit der mysteriösen Demenz in einem kurzen Satz der Hoffnung auf den Punkt: „Vielleicht ist es doch ein Tumor.“ Der Mann berichtet im voll besetzten Andachtssaal des Klinikums, wie sich seine fast 95 Jahre alte Mutter standhaft und mit großer Hartnäckigkeit weigert, sich medizinisch untersuchen zu lassen. „Sie will einfach das Haus nicht verlassen“, schildert der Mann fast verzweifelt den täglichen Stress mit der betagten Frau. Er hatte gehofft, dass die Zuversicht auf eine erfolgreiche medizinische Behandlung seine Mutter motivieren könnte, ihn in eine Klinik zu begleiten. Die Diagnose Tumor schreckt weniger als das Urteil, unter einer Demenz zu leiden.
Die eigene Geschichte zu berichten ist für den Mann eine Reaktion auf die hilfreichen Ratschläge, die es von den Fachleuten auf dem Podium gibt und die sich letztlich wegen der Bockigkeit der Betroffenen aber aus seiner Sicht nicht umsetzen lassen. Aus den Schilderungen dieses Zuhörers und seiner Hilflosigkeit entwickelt sich die zentrale Frage des Abends: Wie können Angehörige unterstützt werden, damit sie wiederum das Beste für den dementen Familienangehörigen leisten können?
Der von Martin Winterling, Ressortleiter beim Zeitungsverlag Waiblingen, moderierte Gesprächskreis ist hochkarätig besetzt: Oberarzt Nikolaos Sotiriadis, Neurologe in den Rems-Murr-Kliniken, und Chefärztin Karin Ademmer der Klinik für Alterspsychiatrie, decken die medizinischen Fragen ab. Elke Leinert, Pflegerische Stationsleiterin auf der Demenzstation des Schlossklinikums, sowie Gabriele Kreutzner, Leiterin des Informationstransfers Demenz-Support Stuttgart gGmbH, sind die Spezialistinnen für Fragen zur Pflege. Ebenfalls im Kompetenzteam der Veranstaltung sind Monika Amann, Demenzfachberaterin des Rems-Murr-Kreises, und Andreas Haas, Geschäftsführer der Awo-Sozialstation Rems-Murr. Beide haben zum Auftakt aus Fachbüchern gelesen (siehe Infokasten).
Schon die erste Frage aus dem Publikum, ob es Fortschritte in der Behandlung einer Demenzerkrankung gibt, führt die Hoffnung in die Sackgasse: „Tut mir leid“, beginnt Dr. Sotiriadis seine Antwort, „aber in der Behandlung von Demenzerkrankungen hat sich sehr, sehr wenig getan. Wir haben den Stand wie vor zehn Jahren.“ Es gäbe zwar Medikamente, die in Anfangsphasen helfen, die Erkrankung jedoch nicht stoppen oder gar heilen könnten.
Medien, die über erfolgreich verlaufene Studien berichteten, sollte man wenig Glauben schenken, so der Neurologe. Irgendwann werde die Demenz sicherlich heilbar sein, ist Sotiriadis überzeugt. Ob er das noch erleben werde, glaube er jedoch weniger.
Auch Dr. Ademmer betont, dass sie ihre Patienten nicht gesund machen könne, wenn sich Demenz als Ursache der Erkrankung herausgestellt habe. Ihr Fachbereich ist zuständig für die Diagnose und die Behandlung von Demenzkranken mit einem „herausfordernden Verhalten“. Das sind Patienten, die beispielsweise die Nacht zum Tag machen, die ohne Unterbrechung Schreie ausstoßen oder den Drang haben, sich ständig auszuziehen. Die Ursache solcher Verhaltensweisen herauszufinden, „ist eine sehr große Herausforderung“, sagt die Medizinerin. Pflegeleiterin Leinert bestätigt, „die Menschen sind am Anfang gar nicht zu erreichen.“ Wichtig sei herauszufinden, wie das soziale Umfeld vor der Erkrankung ausgesehen habe. „Wir brauchen von den Familienangehörigen möglichst viele biografische Angaben.“
„Sie möchten die Diagnose nur nicht offiziell bestätigt bekommen“
Gabriele Kreutzner versteht, warum Angehörige auf eine medizinische Lösung setzen und zuerst an eine Klinik denken und nicht an eine Beratung. Ein offenes Gespräch über Pflege und nicht über Heilungschancen zu führen setze voraus, das Schicksal eines Demenzerkrankten in der Familie zu akzeptieren.
Der gesunde Ehepartner oder auch betreuende Kinder müssten beispielsweise lernen, den Erkrankten nicht zu bevormunden. „Bleib’ sitzen, sonst stürzt du.“ Als Angehöriger müsse man in eine neue Rolle finden. Außerdem, so berichtet Kreutzner über ihre Erfahrungen, wüssten Menschen, die eine medizinische Untersuchung verweigerten, sehr gut, was mit ihnen los ist. „Sie möchten die Diagnose nur nicht offiziell bestätigt bekommen.“
Die Mediziner erläutern, dass es sehr unterschiedliche Symptome für eine Demenzerkrankung gibt, die bereits Menschen in den 40ern befallen kann. Zunehmende Vergesslichkeit sei nicht das einzige Anzeichen, auffälliges und depressives Verhalten lieferten ebenfalls erste Anhaltspunkte. Es stellt sich im Saal die Frage, ob Menschen mit einer Demenz überhaupt als Patienten wahrgenommen werden sollten.
Besser sei es doch, sie als Menschen anzunehmen, die so sind, wie sie eben sind. Der Methode, den Menschen eine Scheinwelt aufzubauen, in der sie offen leben können, aber von der Außenwelt abgeschottet sind, wie man dies in den Niederlanden macht, begegnen die Experten auf dem Podium mit Vorsicht. Eine Bushaltestelle im Pflegeheim als Attrappe aufzustellen, um ihnen Vergangenes vorzugaukeln, empfindet Kreutzner als eine Lüge. „Auch Menschen mit Demenz lüge ich nicht an“, lautet ihr Schlusswort.
Oberarzt Nikolaos Sotiriadis (links) machte keine Hoffnung, dass es in Bälde schon ein Medikament gegen Demenz oder Alzheimer geben wird. Im Andachtssaal diskutierten (von links nach rechts) Elke Leinert, Stationsleiterin der Demenzstation, Dr. Karin Ademmer, Chefärztin der Klinik für Alterspsychiatrie am Klinikum Schloss Winnenden, und Dr. Gabriele Kreutzner, Leitung Informationstransfer Demenz-Support Stuttgart mit ZVW-Redakteur Martin Winterling über den Umgang mit dem Thema Demenz und Alzheimer. Bild: Schlegel