Christopher Street Day 2019 in Stuttgart. Foto: Uwe Roth

CSD 2019 Stuttgart: Vieles erreicht, aber noch viel zu tun

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SWP, Uwe Roth, 29.07.2019

Die Teilnehmer der Christopher-Street-Day-Parade in Stuttgart betonen die Erfolge der vergangenen Jahrzehnte, fordern aber weitere Verbesserungen und befürchten neue Rückschläge. Von Uwe Roth

Wie immer sehr laut, sehr bunt und zum Teil sehr schrill sind am Samstag über 7000 Menschen in der Christopher-Street-Day-Parade durch die Stuttgarter Innenstadt gezogen. Wie immer standen Zehntausende am Straßenrand, um das alljährliche CSD-Spektakel der Communitiy aus lesbischen, schwulen, bisexuellen, transsexuellen, transgender, intersexuellen und queeren Menschen (LSBTTIQ) zu verfolgen.

Auffallend war, dass viele Schüler unter den CSD-Teilnehmern waren – mehr als in den vergangenen Jahren. „In meiner Klasse muss ich mich nicht verstecken, nur weil ich schwul bin. Das sollte überall so sein“, fand der 16-jährige Robin aus Böblingen. Weil dem nicht so ist, hatte er sich mit seiner Clique in die Parade gestellt.

Die „Friday-for-Future-Bewegung“ scheint einen Ableger gefunden zu haben. Viele der Jugendlichen gehörten nicht zur Regenbogen-Community, zeigten aber Solidarität. Dabei war auch die Katholische Junge Gemeinde.

Die Veranstalter berichteten von einer Rekordbeteiligung. Der Demonstrationszug unterteilte sich in 94 Formationen. Darunter befanden sich schwere Trucks, die von Konzernen wie Bosch, Daimler oder Vodafon angemietet waren. Neben dicken Lautsprechern auf der Ladefläche, die den Lastwagen und die nahe Umgebung vibrieren ließen, und tanzenden Menschen war immer etwas Markenwerbung des Sponsors dabei. Kritiker sprachen von unnötiger Werbung, die der Sache nicht diene.

Christoph Michl, Geschäftsführer der IG CSD Stuttgart betonte dagegen, dass sein Verein dringend auf Geld angewiesen sei. Die ehrenamtliche Arbeit habe ihre Grenzen. Deswegen wird die Interessengemeinschaft bei der Stadt nach seinen Worten viele Projekte beantragen, die hoffentlich über den nächsten Doppelhaushalt finanziert werden könnten. Angedacht sei ein „Regenbogenhaus“ mit Beratungsangeboten.

Zwei Jubiläen

Der CSD 2019 stand unter dem Motto „Mut zur Freiheit“ und hatte gleich zwei Jubiläen aufzubieten: 50 Jahre „Stonewall Inn“-Revolten in New York, die den Beginn der Schwulen-Bewegung markierten, sowie 40 Jahre „Homobefreiungstag“ in Stuttgart. 1979 hatte die erste Demonstration am Pavillon auf dem Schlossplatz 400 Teilnehmer. Inzwischen prägen die Veranstaltungen und Aktionen zum CSD an zwei Tagen Schiller- und Marktplatz. „Es ist Vieles erreicht worden. Aber es muss noch viel getan werden“, war ein Spruch, der bei der Kundgebung zum Abschluss der Parade öfter zu hören war.

Nachholbedarf bei ihrem Recht auf Selbstbestimmung sehen die Trans-Menschen, die ihr Geschlecht verändert haben oder verändern möchten. Ronja Böhringer und Alex Häfner vom Team der „Mission-Trans“ forderten eine Reform des Transsexuellengesetzes aus dem Jahr 1980.

Es sei damals ein Riesenfortschritt gewesen. Dennoch müsse endlich damit Schluss sein, dass Menschen „fremdbegutachtet und zur Kasse gebeten werden“, weil sie im Personalausweis und Geburtsurkunde ihren Namen und Geschlecht umschreiben lassen wollten. Die Prozedur entspreche weder der im Grundgesetz garantierten Menschenwürde noch dem Recht auf freie Entfaltung der Persönlichkeit.

Die CSD-Parade zeigte, dass die Gesellschaft offener wird. Aber eben nur ein Teil der Gesellschaft. „Wir dürfen keine Angst vor AfD-Politikern haben, die behaupten, wir hätte schon alles erreicht“, so Ronja und Alex. AfD-Politiker hätten von der Stadt verlangt, dem CSD die Genehmigung für die Demonstration zu entziehen, weil diese eine anstößige Fetischparade sei, so deren Auffassung.

Laut einem Regierungsbericht werden Schwule und Lesben immer häufiger Opfer von Übergriffen. Die Behörden registrierten demnach im ersten Halbjahr 130 Straftaten gegen Homosexuelle, Bisexuelle, Inter- und Transsexuelle. Initiator Christoph Michel sagte dazu: „Es wirkt paradox: Je offener die Gesellschaft insgesamt wurde, desto schwieriger wird es auszuloten, wo die Freiheiten des Einen beginnen und die des Anderen enden – oder wo Gemeinsamkeiten liegen.“ Und er warnte: „Die Vielfalt scheint in Gefahr zu sein.“