SWP Uwe Roth 20.04.2017
Ihre Geburtsorte liegen keine halbe Stunden voneinander entfernt. Cem Özdemir und Dominik Kuhn haben den Stuttgartern die Alb auf Schwäbisch erklärt.
Am frühen Dienstagmorgen sagt der Grünen-Chef im Hauptstadtstudio des Morgenmagazins, warum die Beitrittsverhandlungen der EU mit der Türkei ins hinterste Eisfach gehören. Das läuft als Topnachricht den ganzen Tag. Zwölf Stunden später und 600 Kilometer südlich von Berlin schwätzt Cem Özdemir im Club Schocken über seine Kindheit in Bad Urach und erläutert den Stuttgarter Zuhörern, warum sein Spitzname eine Zeitlang „Gsälz g‘wä isch“. „Gsälz, komm a mol her!“ Klingt komisch, war es damals für den Elfjährigen aber nicht wirklich, wie sich der mittlerweile 51-Jährige erinnert.
Vom Herzen der Schwäbischen Alb
Mit ihm auf der Bühne steht Dominik Kuhn. Den kennt man eher unter seinem Kunstnamen Dodokay (gesprochen -kei und nicht -kai) und von seinen auf Schwäbisch synchronisierten YouTube-Filmen. Zwischen ihm und dem Politiker liegen vier Jahre Altersunterschied – zwischen ihren Heimatorten knapp 20 Straßenkilometer und 390 Höhenmeter. Der 47-jährige Kuhn kommt aus Reutlingen, also vom unteren Rand der Schwäbischen Alb; Özdemir vom Herzen der Alb.
„Zwoi Schwobaseggl undr sich“
„Zwoi Schwobaseggl undr sich“, heißt der Abend an einem Ort, der nicht gerade für die Pflege der Mundart bekannt ist. Der Schwäbische Heimatbund ist der Gastgeber dieses ungewöhnlichen Zusammentreffens und würde in diesem Großstadtclub nicht unbedingt seine Mitgliederversammlung abhalten. Vorsitzender Stefan Frey fremdelt bei seinem Grußwort zwischen Barhockern und Clubsesseln ein wenig und bietet kostenlose Schnuppermitgliedschaften an.
Das Konzept geht auf. Kuhn und Özdemir schwätzet eineinhalb Stunden so vor sich hin, erzählen Anekdoten aus ihren Kinder- und Jugendtagen, erinnern sich an Nachbarn, deren broitestes Schwäbisch net amol sie verstanda hent, und ignorieren die vorbereiteten Moderationskärtchen. Die sollten insbesondere Özdemir wohl durch strikte Vorgaben daran hintern, über Politik zu reden – obwohl er im Nachklang zum Referendum in der Türkei, dem Herkunftsland seiner Eltern, einiges zu sagen gehabt hätte. Doch der Grünen-Chef hat keine Lust über Politik zu reden, auch nicht auf Schwäbisch, trotz Wahlkampfjahr. Er merkt lediglich beiläufig an, dass er wegen seiner überdimensionierten Koteletten (die bundesweit Thema waren und seit 2014 aber verschwunden sind) heftiger angegangen worden sei als wegen seiner kritischen Äußerungen über den türkischen Präsidenten Erdogan.
Gleichzeitig im ev. Jugendwerk und württemberg. Bruderbund
Dodokay sagt, dass keine politischen Themen auf den Kärtchen stünden, sei ihm nur recht gewesen, weil er „nicht der Hofnarr von einer Partei sein will“. Untermalt werden die Kurzgeschichten aus der Vergangenheit mit alten Fotos von den beiden und Clips aus dem Synchronstudio von Dodokay. Özdemir nutzt geschickt die Gelegenheit, den Zuhörern seine Person über die Biografie näher zu bringen. Er erinnert an seine Eltern, die immer bemüht gewesen seien, in Deutschland anzukommen; bereits im ersten Einwanderungsjahr sei ein Christbaum aufgestellt worden. Als junger Muslim war der gelernte Pädagoge wegen der attraktiven Freizeitangebote gleichzeitig Mitglied im evangelischen Jugendwerk und württembergischen Bruderbund, also bei den Pietisten. Botschaft: Ideologisches Denken ist ihm fremd.
Özdemir sagt zwar nicht Mobbing, aber von seinen Mitschülern ein komplettes Schuljahr „Gsälz“ gerufen zu werden, hat ihn schon getroffen. Zu diesem Spitznamen kam er über Umwege: Im ersten Englischjahr lernten die Schüler das Wort Jam, das Marmelade bedeutet und wie Cem ausgesprochen wird. Weil aber auf der Alb niemand Marmelade sagt sondern Gsälz, wurde aus dem Cem eben d’r Gsälz. Dominik Kuhn tröstet auf schwäbisch: „Immer no bessa als a Gosch voll Reisnägl.“