Cannabis auf Rezept ist die Ausnahme

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Bietigheimer Zeitung, Uwe Roth, 26.10.2018

Vor Kurzem hat die Regierung von Kanada Erwachsenen erlaubt Cannabis legal zu kaufen und zu konsumieren. Seither wachsen die Erwartungen, dass auch in Deutschland das strikte Verbot im Umgang mit dieser Droge gelockert wird. Nach Erkenntnissen der Deutschen Beobachtungsstelle für Drogen und Drogensucht hat mehr als jeder vierte erwachsene Deutsche (zwischen 18 und 64 Jahren) bereits mindestens einmal im Leben illegale Drogen konsumiert. Cannabis sei dabei „unverändert die mit Abstand am häufigsten konsumierte illegale Droge“.

Neues Cannabis-Rezept seit 2017

Unter den 12 – bis 17-Jährigen gaben nach den Umfragen der Beobachtungsstelle 7,3 Prozent an, in den vergangenen zwölf Monaten wenigstens einmal Cannabis konsumiert zu haben. Bei den 18- bis 64-Jährigen seien es 6,1 Prozent gewesen. Zum Vergleich: 30 Prozent der Erwachsenen sind Zigarettenraucher. Laut dem jüngsten Bericht des Polizeipräsidiums Ludwigsburg hat 2017 die Droge Cannabis „nach wie vor den absoluten Schwerpunkt bei den polizeilich bearbeiteten Drogendelikten“ gebildet. Die Fallzahlen seien in einem Jahr um knapp acht Prozent angestiegen. Seit eineinhalb Jahren bekommt man in Deutschland Cannabis legal – allerdings ausschließlich auf Rezept. Hintergrund ist ein neues Gesetz, das im März 2017 in Kraft getreten ist.

Bei der AOK-Bezirksdirektion Ludwigsburg-Rems-Murr sind nach Angaben des Sprechers Joachim Härle seither aus den Reihen der mehr als 330 000 Mitglieder insgesamt 174 Anträge auf das sogenannte medizinische Cannabis als Arzneimittel eingegangen. „In diesem Zusammenhang sprechen wir nicht von Drogen“, stellt Härle klar. Das „Gesetz zur Änderung betäubungsmittelrechtlicher und anderer Vorschriften“ erlaubt auf Kosten der gesetzlichen Krankenversicherung Apotheken die Abgabe von Cannabis in kontrollierter Qualität für Versicherte mit einer schwerwiegenden Erkrankung in Form von getrockneten Blüten oder Extrakten. Weitere Darreichungsformen sind Arzneimittel mit den Wirkstoffen Dronabinol und Nabilon.

Zwischen 400 und 2000 Euro

„Für die Verschreibung muss zwingend eine ärztliche Verordnung vorliegen“, so der AOK-Sprecher. Zudem könne der Patient das erste Rezept erst bei der Apotheke abgeben, wenn die Krankenkasse ihre Zustimmung gegeben hat. Gibt sie grünes Licht, kommen nach seinen Angaben auf die Kasse monatliche Kosten je Cannabis-Produkt und Patient zwischen 400 und 2000 Euro zu. Die Hürden für den legalen Cannabis-Konsum sind hoch gelegt: „Für eine Kostenübernahme durch die Krankenkasse muss eine schwerwiegende Erkrankung vorliegen, bei der eine allgemein anerkannte, dem medizinischen Standard entsprechende Leistung nicht zur Verfügung steht oder nach Einschätzung des behandelnden Arztes im Einzelfall nicht zur Anwendung kommen kann.“ So lautet die offizielle Definition. Zudem müsse „eine spürbare positive Einwirkung auf den Krankheitsverlauf oder auf schwerwiegende Symptome in naher Aussicht stehen“.

Chronische und kaum erträgliche Schmerzen sind hauptsächlich die Gründe für ein Cannabis Rezept. Knapp die Hälfte aller Anträge bei der AOK sind zur Behandlung solcher Leiden gestellt worden. Bei Krebserkrankungen werden neben der Bekämpfung von Schmerzen häufig auch Anträge für die Behandlung einer krankhaften Abmagerung (Kachexie) gestellt. Cannabis hilft auch gegen das Erbrechen während einer Chemotherapie. Eine weitere wesentliche Indikation ist die Behandlung von Spastiken bei Multipler Sklerose.

Wissenschaftliche Begleiterhebung

Auch bei psychiatrischen Krankheitsbildern werden Therapieversuche unternommen. Darüber hinaus findet sich noch eine Vielzahl weiterer Erkrankungen. Für die meisten anderen möglichen medizinischen Anwendungsgebiete sogenannter Cannabinoiden gibt es laut Härle derzeit nur wenig belastbare Erkenntnisse. Aus diesem Grund hat der Gesetzgeber die Abgabe unter fortlaufender wissenschaftliche Beobachtung gestellt. Das bedeutet in der Praxis: Der verordnende Arzt muss die für die Erhebung erforderlichen Daten dem Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte in anonymisierter Form übermitteln. Bis ins Jahr 2022 läuft die wissenschaftliche Begleiterhebung. Dann erst steht endgültig fest, zu welchen Zwecken Cannabis-Produkte abgegeben werden dürfen.