Von Uwe Roth, Brüssel, 14.07.2000, FTD
Die Europäische Kommission will die EU-Verträge entrümpeln und neu ordnen. Der für Reformfragen zuständige Kommissar Michel Barnier stellt heute entsprechende Pläne vor, die allerdings keinen Beitrag zur laufenden Regierungskonferenz darstellen sollen.
Die Staats- und Regierungschefs, so Barniers Hoffnung, sollen in Nizza mit Blick auf die Vertragsneugliederung ein Arbeitsprogramm beschließen, das die notwendigen Schritte konkretisiert. In der Kommission ist die späte Präsentation des Vorschlags intern auf Kritik gestoßen. Man habe die Chance verpasst, eine Verfassungsdiskussion anzustoßen, die bereits im Vertrag von Nizza hätte erste Früchte tragen können.
Kern der Neuordnung, wie sie die Kommission vorschlägt, ist nicht nur eine Straffung der Verträge. Das Europäische Hochschulinstitut in Florenz war beauftragt worden, die Vertragskapitel so zu kategorisieren, dass aus dem einen Teil ein Entwurf für einen Grundlagenvertrag entstehen kann. Die restlichen Vertragsartikel wurden vom Institut zu einer Art Arbeitsvertrag zusammengefasst. Die Idee, die bestehenden Verträge zweizuteilen, sieht die Kommission als wichtigen Beitrag zur derzeit laufenden Grundsatzdiskussion über die weitere Gestaltung der Europäischen Union.
Die wichtigste Folge wäre, dass nur noch Änderungen am Verfassungsteil von den nationalen Parlamenten ratifiziert werden müssten, um in Kraft treten zu können. Die Weiterentwicklung des Arbeitsvertrags könnten die Staats- und Regierungschefs und das EU-Parlament in eigener Verantwortung vornehmen. Reformen, so erhofft sich die Kommission von diesem Vorstoß, ließen sich mit einer solchen Zweiteilung einfacher realisieren.
Diese Überlegung erhält besondere Brisanz im Hinblick auf die Erweiterung der EU. Die Ratifizierung einer Vertragsänderung würde nach dem derzeitigen System bei 20 und mehr Mitgliedsstaaten leicht zur unendlichen Geschichte oder könnte von einem Land blockiert werden. Die heutige Präsentation über die Aufteilung der Verträge überlässt Kommissionspräsident Romano Prodi seinem zuständigen Kommissar. Dabei zeigt sich die Kommission bemüht, den Vorwurf zu entkräften, sie erschwere mit der Empfehlung einer neuen Vertragsgliederung den Abschluss der Regierungskonferenz in Nizza.
Die britische Regierung hat bereits signalisiert, dass sie am Einstimmigkeitsprinzip für Änderungen des EU-Vertrags festhalten will, um ihr Recht auf Blockade zu bewahren. Barnier wolle keinesfalls bereits den Startschuss zur nächsten EU-Refomrunde geben, betonte seine Sprecherin. Ihm gehe es vor allem darum, die Regierungskonferenz davon zu überzeugen, die Verträge von Ballast zu befreien und für die Unionsbürger wieder verständlicher zu machen.
In der über 40-jährigen Geschichte der Gemeinschaft hat sich viel solcher Ballast angesammelt: Seit der Vertrag zur Gründung der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft (EWG) 1957 in Kraft trat, wurden die Verträge mehrmals überarbeitet, doch nie neu gegliedert. Es wurden zahlreiche Kapitel, Artikel und Absätze eingefügt, die die Gemeinschaft zwar kompetenter, das Vertragswerk selbst aber unübersichtlich machten. Die Verträge von Maastricht und Amsterdam übertrugen der Europäischen Union weitere Aufgaben, die aber nur zum Teil durch den EG-Vertrag abgedeckt sind. Das führte dazu, dass auch Experten nicht immer wissen, ob sie vom EU- oder EG-Vertrag sprechen. Schon bei der letzten Regierungskonferenz 1997 sollten die Texte verständlicher formuliert und gegliedert werden, was den Juristen allerdings nicht gelang.