Staatsanzeiger Uwe Roth 08.12.2013
Kleine Wohneinheiten – dezentral in den Landkreisen verteilt. So sollen Menschen mit Behinderungen künftig untergebracht werden. Doch den Trägern fehlt das notwendige Geld zum Bau oder Kauf neuer Gebäude. Im Rems-Murr-Kreis haben sich zwei große Einrichtungen zu Wort gemeldet.
KERNEN/WINNENDEN. Die Paulinenpflege in Winnenden und die Diakonie Stetten sind große Einrichtungen mit einigen 1000 ambulanten Wohnheimplätzen. Beide Träger haben sich zudem auf die Betreuung von Menschen mit besonders schweren Behinderungen eingerichtet. Die Spezialisierung führte dazu, dass auch Bewohner von außerhalb des Rems-Murr-Kreises ihren Pflegeplatz in Winnenden und Kernen finden, weil es in ihren Heimatkreisen eine solche intensive Betreuung nicht gibt.
Die Heimkosten werden aus den so bezeichneten Eingliederungshilfen bezahlt, die die Landkreise über ihre Kreisumlage – also finanziert von den Städten und Gemeinden – aufbringen. Dabei gilt das Herkunftsprinzip: Kostenpflichtig ist der Stadt- oder Landkreis, in dem der Pflegebedürftige geboren ist.
In der Vergangenheit hat die Konzentration für die großen Einrichtungen funktioniert. Menschen aus anderen Landkreisen sorgten für eine
gute Auslastung, abgerechnet wurde die kostenintensive und personalaufwendige Betreuung über die jeweiligen Landratsämter.
Menschen mit Behinderung sollen familiennah leben können
Doch die Intensivbetreuung ist kein gutes Geschäft mehr. Denn die Inklusion nach der UN-Behindertenrechtskonvention, aber auch das Landesheimgesetz fordern grundlegende Strukturveränderungen von den Behinderteneinrichtungen. Wo heute noch über 1000 Menschen in einer Komplexeinrichtung leben und betreut werden, sollen es bis 2020 maximal noch 100 sein.
Die Bewohner sollen folglich in den kommenden Jahren in Wohngemeinschaften mit überschaubarer Größe umziehen, die zudem gleichmäßig übers Land verteilt sind. Damit ist garantiert, dass künftige Generationen von Menschen mit Behinderungen familiennah untergebracht werden. Kleinere Einrichtungen, die sich auf die leichteren Fälle beschränkt und die pflegeintensiven den großen Einrichtungen überlassen haben, sind nun im Vorteil. Da sie vergleichsweise wenig Mittel an ihrem Standort und an ihr Personal gebunden haben, sind sie ausreichend flexibel, um sich auf die neuen Verhältnisse einzustellen und in neue Wohngruppen zu investieren.
Auch die großen Träger im Land sind seit einigen Jahren dabei, nicht nur im eigenen Landkreis am Standort, sondern weit darüber hinaus verstreut Häuser für Wohngruppen bis zu 24 Personen zu bauen oder zu kaufen. 24 ist die Wohngröße, bis zu der „Aktion Mensch“ eine finanzielle Förderung gibt.
Doch mit dem Tempo der kleineren Wettbewerber halten die großen Einrichtungen nicht mit. „Uns rennt schlicht die Zeit davon“, sagt der Sprecher der Johannes-Diakonie Mosbach (Neckar-OdenwaldKreis). Es müsse nicht nur viel Geld in neue Standorte, sondern ebenso in die alten investiert werden. Bis 2020, so die Strategie der JohannesDiakonie, sollen 300 der insgesamt 1250 Bewohner aus den Heimen inMosbach und Schwarzach in ihre Heimatkreise zurückgekehrt sein. Dafür sei jeder Euro wichtig.
Das bekräftigen die Vorstände der Paulinenpflege Winnenden und der Diakonie Stetten. Die Einrichtungen sind auf der Suche nach neuen Grundstücken in der sehr teuren Region Stuttgart. Aber auch die Konversion des Stammsitzes mit teilweise historischen Gebäuden ist ein Kostenfaktor. Rainer Hinzen, Vorstand der Diakonie Stetten, sagt: „Wenn der Nutzen für einzelne Menschen mit Behinderungen gegeben ist, wollen wir in den kommenden Jahren mit unseren Angeboten immer mehr in den Städten und Gemeinden vor Ort sein.“ Dieser Prozess sei jedoch teuer und um die Kompetenz vor Ort zu erhalten, „brauchen wir die nötigen Mittel“, so Hinzen.
Hoffen auf die Umsetzung des Koalitionsvertrags
Vom Landkreis können sie kaum mehr erwarten. Ein Gutachten hat ergeben, dass die Träger im Rahmen des Notwendigen finanziert werden. Nun hoffen die Vorstände auf die Umsetzung des Koalitionsvertrags der künftigen Bundesregierung. Dieser sieht vor, dass ein Teil der Eingliederungshilfen künftig vom Bund übernommen wird, so dass den Landkreisen im Sozialbudget wieder etwas mehr Luft bleibt, um den Umbau der Behindertenhilfe voranzutreiben. Der Landkreistag wiederum zeigt derweil Zweifel, dass die Entlastung wirklich bei den Kommunen ankommen wird.