Sonntag Aktuell Uwe Roth 04.01.2009
Die Deutschen wollten sie, die Nachbarn nicht: Die deutsche Vereinigung kam gegen den Willen vieler Europäer und entgegen den Bestimmungen des EG-Vertrags.
Nicht nur Westdeutsche schauten im November 1989 ungläubig durch die Lücken der DDR-Mauer. Auch westliche Nachbarn waren erschrocken über den deutsch-deutschen Freudentaumel. Die Bundesrepublik war 30 Jahre lang braves Mitglied der Europäischen Gemeinschaft (EG), wie die Europäische Union (EU) damals hieß, zahlte den größten Beitrag und zeigte sich bei feierlichen Anlässen immer noch dankbar dafür, dass es als Ex-Nazistaat und Kriegsverlierer bereits bei der EG-Gründung 1957 dabei sein durfte.
Nun plötzlich wollte die konservative Bundesregierung mit einem kommunistischen Staat fusionieren, nur weil Bürger auf die Straße gingen? In den Mitgliedstaaten kümmert man sich bis heute wenig um innenpolitische Angelegenheiten anderer Staaten. Was wusste ein Franzose oder Brite schon von der DDR und warum sie aufhören sollte zu existieren? Bundeskanzler Helmut Kohl reiste einen Monat nach der Maueröffnung am 8. Dezember zu einem Gipfel der Staats- und Regierungschefs nach Straßburg und wurde von seinen Kollegen mit Eiseskälte empfangen, wie er in seinen Memoiren schreibt. Ihre drängenden Fragen empfand der Kanzler als „fast tribunalartig“. Ein Schriftstellerzitat machte die Runde: „Ich liebe Deutschland so sehr, dass ich froh bin, zwei davon zu haben.“
Widerstand aus den Nachbarländern
Politisch gefährlicher waren Bemerkungen wie die des italienischen Ministerpräsidenten Giulio Andreotti. Der zischte verärgert, er habe in Straßburg Kohls Problem nicht verstanden, ob es ihm nur um die Bürger der beiden deutschen Staaten gehe „oder auch um die Millionen Deutschen, die in Russland, Polen oder anderswo leben“? Der französische Präsident François Mitterand hatte sich ähnlich geäußert, und Großbritanniens Margret Thatcher war sowieso gegen die Annäherung an die DDR, weil für die Premierministerin die Nachkriegszeit 1989 längst nicht beendet war.
Das wieder erstarkte Deutschland mit 80 Millionen Bürgern wirkte auf die Nachbarn bedrohlich. Die Bedenken der Europäer wurden in der deutschen Öffentlichkeit jedoch kaum wahrgenommen, ebenso wenig wie die Tatsache, dass die Annäherung der DDR an den Westen nicht nur vom Grundgesetz abhing, sondern auch vom europäischen Recht. Dem Protokoll des Straßburger EG-Gipfels war das deutsche Geschichtsereignis zuerst nur eine Randbemerkung wert. Unter dem Punkt „Menschenrechte“ gestanden die Mitgliedstaaten dem „deutschen Volk“ zu, „in freier Selbstbestimmung“ seine Einheit wiederzuerlangen.
Die „freie Selbstbestimmung“ sollte allerdings die Regeln des EG-Vertrags wahren. Zu diesem Zeitpunkt ging man in Brüssel noch davon aus, dass die DDR als souveräner Staat der EG beitreten werde. Daraus wäre ein langwieriger Prozess entstanden, da der EG-Vertrag als Voraussetzung für eine Mitgliedschaft eine „funktionsfähige Marktwirtschaft“ verlangt sowie die „Fähigkeit, dem Wettbewerbsdruck und den Marktkräften innerhalb der Union standzuhalten“. Die DDR-Wirtschaft hätte dem wohl erst nach Jahren entsprochen. 1990 überschlugen sich die Ereignisse. Während die Bundesregierung und die DDR-Regierung die Wiedervereinigung unaufhaltsam vorantrieben, herrschte unter den Regierungen der EG-Mitgliedstaaten „angesichts der Entwicklungen eine gewisse Sprachlosigkeit“, erinnert sich Gerd Langguth.
Niemand wagte, die Euphorie zu trüben
Der Politikwissenschaftler und Merkel-Biograf war zwischen 1988 und 1993 Repräsentant der Europäischen Kommission in Deutschland und hat den Turbobeitritt Ostdeutschlands in die Gemeinschaft aus nächster Nähe miterlebt. Das klappte nur, weil die europäischen Wettbewerbshüter beide Augen zudrückten. Niemand wagte, die Euphorie zu trüben. Die osteuropäischen Staaten dagegen, die 15 Jahre später, in die EU kamen, mussten auf ein ähnliches Wohlwollen verzichten.
Nach und nach gaben die EG-Nachbarn ihren Widerstand gegen die Wiedervereinigung auf und spendierten sogar sehr viel Geld aus der gemeinsamen Kasse als Wiederaufbauhilfe für Ostdeutschland. Die D-Mark blieb dabei jedoch auf der Strecke. Die gemeinsame Währung Euro hatte Frankreich durchgesetzt und wurde unmittelbar nach dem Mauerfall beschlossen. Hätte sich die Bundesregierung an die D-Mark geklammert, die damals Leitwährung in Europa war, wäre die EG vielleicht an der Wiedervereinigung zerbrochen – oder umgekehrt. Den wiedervereinigten Deutschen, die zum Teil ihrer alten Währung bis heute nachtrauern, ist dieser Zusammenhang nie vollständig erklärt worden. Uwe Roth