SWP Uwe Roth 25.10.2016
In Bad Cannstatt haben Archäologen eine Mittelalterburg gefunden. In Expertenkreisen gilt der Fund als besonders. Die Ausgrabungsstelle wird wohl trotzdem nicht erhalten bleiben. Wieso?
Gerüchte, Legenden und ein Flurname. Lokalhistoriker hatten keine Zweifel, dass auf den Höhen des Stuttgarter Stadtbezirks Bad Cannstatt irgendwo mal eine bedeutende Burg gestanden haben muss. Allein, es fehlten die Nachweise. Keine Ruine, keine Gedenktafel, nichts. Dabei ließ sich der mögliche Standort der gerüchteumwobenen Festung leicht einkreisen: Es gibt den alten Flurnamen Altenburg, und vom Neckar her verläuft in Serpentinen die Altenburger Steige zum Römerkastell hinauf. Oben wiederum führt die Auf-der-Altenburg-Straße an der Altenburgschule vorbei.
In der Oberamtsbeschreibung von 1832 hatte der Autor, ein Obersteuerrath von Memminger, von einer Altenburg, aber auch von sechs weiteren Burgen in und um Cannstatt berichtet. Schon damals stellte er fest, dass es von der Altenburg nichts mehr zu sehen gibt. Rund 140 Jahre später schreibt der Historiker Gerhard Wein in seinem 1971 erschienenen Buch „Die mittelalterlichen Burgen im Gebiet der Stadt Stuttgart“ recht konkret über die Altenburg. Er musste sich allerdings auf die mögliche Bedeutung des Adelssitzes beschränken. Über sein Aussehen konnte er mangels Fundstücken nichts aufschreiben.
Kirchengemeinde thront über den Grundmauern
Nun steht fest: Die Evangelische Steigkirchengemeinde thront über den Grundmauern der Feste. Aus Geldgründen hatte sie beschlossen, das Gemeindehaus abreißen zu lassen und es an einen Investor zu verkaufen. Der wird auf dem Gelände Wohnungen bauen. Aber zuvor waren die Archäologen vom Landesamt für Denkmalpflege da. Sie brachten mit Schaufel und Bagger hervor, wonach lange gesucht worden war: die Reste eines Gemäuers, die nach Ansicht des Ausgrabungsleiters Andreas Thiel nichts anderes sein können als das, was von der Altenburg übrig geblieben ist. „Was sollen die dicken Mauern anderes sein?“, kommentiert Thiel den Fund.
Auf etwa 1000 Jahre wird die Ruine geschätzt, die für die Archäologie allerdings nicht mehr viel hergibt. „Es gibt nur noch die Umfassungsmauer, drei Steinlagen hoch, weiter gar nichts, auch keinen Turm“, erklärt Thiel. Anders als bei einem Fund ganz in der Nähe der Ausgrabungsstelle, wo die Archäologen auf Gräber aus dem Frühmittelalter stießen. Neben Knochenresten wurden auch Schmuck und Waffen sichergestellt – datiert auf das sechste und siebte Jahrhundert.
Grabungsleiter Thiel steht nun vor einem Dilemma. Mit Blick auf die Altenburg spricht er von einem Sensationsfund, von der vermutlichen „Keimzelle der Stadt Stuttgart“ und von einem „historisch bedeutenden Ort“. Denn nicht nur zur Römerzeit, sondern auch im Mittelalter wurde Geschichte in Cannstatt geschrieben und nicht im Stuttgarter Kessel. Gleichzeitig haben er und sein Team bislang nichts vorzuweisen, was es rechtfertigen würde, die Ausgrabungsanlage für immer zu erhalten. „Wir hätten nichts, womit wir Besucher beeindrucken könnten“, bilanziert der Oberkonservator das bisherige Grabungsergebnis.
König Rudolf ließ Festung zerstören
Die gefundenen Waffen und Schmuckstücke bezeichnet er als „nicht ganz schlecht“, was nicht wirklich begeistert klingt. Historisch so ziemlich gesichert ist, dass die Burg ein Herzogsitz von Franken war, die zu dieser Zeit das Sagen über die Alemannen hatten. 1287 ließ König Rudolf die Festung zerstören. Der mächtige Habsburger hat damals halb Europa umgekrempelt. Dass er sich dabei um die Altenburg in Cannstatt „kümmerte“, zeigt: Dieser Ort kann nicht unbedeutend gewesen sein.
Andreas Thiel hat dem Ausschuss für Umwelt und Technik des Gemeinderats über die Ausgrabungen berichtet. Die Mitglieder der CDU-Fraktion waren im Anschluss so begeistert, dass sie bei der Stadtverwaltung mit einem Antrag vorstellig wurden. Darin heißt es: „Am Ende des Vortrags stand die Begeisterung über den Fund, aber auch die Ratlosigkeit, wie mit dieser für Stuttgart wichtigen Entdeckung umgegangen werden soll.“ Die CDU-Fraktion, so steht es im Antrag weiter, „ist der Meinung, dass der Keimzelle der Stadt Stuttgart eine angemessene Würdigung zuteilwerden soll.“ Die Stadt wird es wohl bei einer schriftlichen Würdigung des Fundes belassen. Auf Anfrage teilt die Verwaltung mit: Als Untere Naturschutzbehörde werde sie keine „Erhaltungsforderung“ stellen. Auch das Landesdenkmalamt habe davon Abstand genommen. Grund sei „der schlechte Erhaltungszustand der Mauerreste“. Das Gelände sei offensichtlich bereits 1927 beim Bau des Gemeindehauses „großflächig gestört worden“.
Sämtliche Funde gehen, so die Stadt, in das Eigentum des Landes über. Sie werden wissenschaftlich archiviert und konserviert. Die Mauerreste werden eingemessen und dokumentiert. Und die Archäologen des Landesamts für Denkmalpflege werden das Neubauvorhaben mit Argusaugen beobachten, falls noch eine Sensation im Erdreich schlummern sollte, versichert die Stadt. Somit werden demnächst über der Keimzelle Stuttgarts junge Familien leben. Vielleicht wird in den Vorgärten ein wenig der Hauch von Geschichte zu spüren sein. „Trösten wir uns damit“, sagt Thiel.